Ich wünschte, wir könnten etwas davon umsetzen…
… war ein für mich bemerkenswerter Satz eines Teilnehmers einer FitSM-Inhouse-Schulung in der Feedback-Runde. Da auch sonst diese Schulung etwas Besonderes war, möchte ich einfach mal davon berichten.
Die Vorbereitung
„Herr Söllner, wir brauchen ein dreitägiges ITIL®-Coaching.„, lautete die Kundenanfrage. Gestellt wurde sie nicht durch einen IT-Leiter sondern durch einen Mitarbeiter der IT, doch dazu später mehr. In einem Telefonat zur Auftragsklärung erzählte er mir dann, dass man in der IT die Prozesse verbessern und dabei auf ITIL® setzen wolle. Die 3 Tage Schulung (ITIL® Foundation) soll als Workshop im Haus stattfinden. Ziel ist es, alle Abteilungen zusammen zu bringen und gemeinsam die Vorteile von ITIL® zu erarbeiten und zu nutzen. Ich schlage ihm vor, „nur“ zwei Tage zu planen, die aber mit den passgenauen Inhalten und starkem Praxisbezug. Bei einer Konzentration auf das Wesentliche im IT Service Management kann man auch in zwei Tagen das notwendige Wissen für einen Projektstart vermitteln und hat trotzdem noch viel Zeit für individuelle Fragen. Nach einer internen Abstimmung, kurzer Bedenkzeit und einem weiteren Telefonat habe ich ihn überzeugt: Wir vereinbaren einen zweitägigen Workshop auf Basis von FitSM.
Die Anreise
Einige kleine Randnotizen noch zur Anreise, die auch dafür sorgt, dass ich diese beiden Tage noch lange in Erinnerung behalten werde. Die Deutsche Bahn musste aufgrund von Personen auf den Gleisen den Zug bei der Anreise am Abend vorher weiträumig umleiten, so dass ich mit fast einer Stunde Verspätung am Zielbahnhof ankam. Daher wurde für die Fahrt ins Hotel ein Taxi notwendig, dass ich leider der Deutschen Bahn nicht in Rechnung stellen konnte (Verspätung eben nur fast eine Stunde). Das Hotel hatte freundlicherweise den Schlüssel an einem geheimen Ort versteckt, da die Rezeption so spät nicht mehr geöffnet hatte. Bei der Ankunft im Zimmer dann der nächste Schreck: Frühstück gab es erst ab 7:00 Uhr, meine S-Bahn fuhr jedoch schon um 7:02 Uhr. Zu guter Letzt wurde auch bei der Anreise am nächsten Morgen noch ein kleiner Dauerlauf notwendig, da die Bushaltestelle am Ende der S-Bahn verlegt worden war. Für einen Ortsunkundigen wie mich eine leichte Überraschung. Die Ankunft beim Kunden war dann verheißungsvoll, ich wurde in einem modernen Bürogebäude freundlich empfangen und mein Ansprechpartner sollte auch gleich kommen. Überrascht war ich dann, als der mich über das Betriebsgelände ins Lager bringen wollte und nach meinen Sicherheitsschuhen und einem Schutzhelm fragte. Zum Glück kam kurz darauf der richtige Ansprechpartner, der mich dann ohne Sicherheitsschuhe zwei Etagen im Bürogebäude nach oben führte.
Die Schulung
Ein großer Raum mit langem Besprechungstisch erwartet mich nun hier. Stilvoll mit ausreichend Kaffeetassen, Kaltgetränken und Süßigkeiten eingedeckt. Das erzeugt eine positive Grundstimmung bei mir und zeigt Wertschätzung für dieses Seminar. 12 Teilnehmer sind angekündigt. Mein Ansprechpartner hat es wohl geschafft, „auch die andere Abteilung“ zur vollzähligen Teilnahme zu bewegen. So nach und nach trudeln alle ein, teilweise mit Laptop bewaffnet, da operative Tätigkeiten der IT nicht einfach zwei Tage aussetzen können. Ansonsten eine bunt gemischte Truppe: Erfahrene Herren, junge Kerle und keine Frau! Eine typisch deutsche IT-Abteilung, oder? Erfreulich ist, dass auch die Auszubildenden dabei sind. Ich bereite meine Präsentation vor und harre der Dinge, die da kommen werden.
„Können Sie mal bitte kurz mit nach draußen kommen?„, ein Teilnehmer hat wohl etwas auf dem Herzen. Vor der Tür wird er deutlicher: „Ich dachte, es wäre eine ITIL®-Schulung?! Warum steht dann da vorne bei Ihnen auf den Folien an der Wand so etwas von FitSM?! Was ist das?!“ Ich kann ihn schnell beruhigen und darauf vertrösten, dass ich seine Bedenken ernst nehme und darauf im Rahmen meiner persönlichen Vorstellung und der Agenda gleich in der Schulung eingehen werde.
Die Vorstellungsrunde mit der Frage nach den Vorkenntnissen und Erwartungen setzt diesen ersten, leicht überraschenden Eindruck bei diesem Kunden fort. Neben vielen Teilnehmern, die kaum Vorkenntnisse im IT Service Management haben und daher auch „nur fachliches Interesse“ äußern, kommen die klassischen Bedenkenträger. Zwei Kollegen haben schon vor Jahren Erfahrungen mit ITIL® gemacht und es als nicht umsetzbar erkannt. Von den damaligen Schulungen ist nur hängengeblieben, dass es zu viele Prozesse gibt, die in der Praxis nicht funktionieren. Eine neue und herausfordernde Einschätzung für mich kommt aus einer anderen Ecke. Drei Kollegen (einen davon kennen wir ja schon) haben in ihren vorherigen Unternehmen schon mit ITIL® gute Erfahrungen gemacht und wollen das auch hier weiterführen. Sie argumentieren, dass auch in einem kleineren Unternehmen bzw. einer kleineren IT-Abteilung geregelte Prozesse sinnvoll und notwendig sind. Gespannt sind diese Teilnehmer, „ob dieses FitSM mit ITIL® mithalten kann“ und die (ihre) Erwartungen im direkten Vergleich erfüllen kann. Also sind die Erwartungen der Teilnehmer und Herausforderungen an mich geklärt. Es wird spannend und ich freue mich auf diese Herausforderung.
Um Transparenz und Nachvollziehbarkeit sicherzustellen, dokumentiere ich die Erwartungen auf dem FlipChart und starte mit meinen Folien. Natürlich muss ich mit der Abgrenzung von FitSM zu ITIL beginnen. Die Hinweise auf die Zielsetzung von FitSM ein erreichbares und pragmatisches Framework zu sein, lassen die Teilnehmer schon ein wenig auftauen. Ich erzähle von meinen langjährigen Erfahrungen mit ITIL®-Foundation-Trainings, bei denen insbesondere für die operativ tätigen IT-Mitarbeiter sehr viel überflüssiges Wissen dabei ist und nach der Prüfung wieder vergessen werden kann. Belegen kann ich das mit der Dauer dieses Workshops: 2 Tage reichen vollkommen aus und geben trotzdem ein rundes Bild.
Im Laufe der Diskussionen im Rahmen der Schulung wird mir klar, dass anscheinend in diesem Unternehmen kein IT-Leiter existiert. Es gab wohl mal eine Interimlösung, die aber anscheinend nicht wirklich erfolgreich war. Hängen geblieben ist der Wunsch des Interim-IT-Leiters, eine Clean-Desk-Policy umzusetzen. Abends beim Verlassen der Schreibtische sollten diese aufgeräumt werden, damit die Mitarbeiter befreit nach Hause gehen können und so auch am nächsten Morgen starten können. Derzeit bringen also aus den einzelnen Abteilungen in der IT ausgewählte Mitarbeiter Anträge und Entscheidungsvorlagen direkt an die Geschäftsführung. Mein Eindruck im Verlaufe der Schulung ist, dass die IT sehr engagiert zu Werke geht und dafür zu wenig Wertschätzung insbesondere von der Chefin erhält. Ein typisches Kommunikationsproblem, das ich im Hinterkopf behalte.
Das Ergebnis
Viele Seiten Flip-Charts sind vollgeschrieben und werden selbstverständlich im Nachgang als PDF-Dokument den Teilnehmern zur Verfügung gestellt. Teilweise zur Dokumentation der Schulungsinhalte (Was hat IT Service Management mit einem Restaurant zu tun) und in größerem Umfang eine Planung der nächsten Schritte.
Da die Teilnehmer in einer sehr kollegialen und konstruktiven Stimmung sind, beschließe ich eine Abstimmung über die Priorität der einzelnen Prozesse durchzuführen. Das Ergebnis ist sehr interessant und lautet wie folgt:
- Change Management mit 8 Stimmen
- Problem Management mit 7 Stimmen
- Configuration Management mit 6 Stimmen
- Service Reporting und Incident&Service Request Management mit je 3 Stimmen
- Continual Service Improvement mit 2 Stimmen
- Service Portfolio Management und Service Availability & Continuity Management mit 1 Stimme
Diese IT-Abteilung hat anscheinend auch ohne „best practice“ schon erkannt, welche Vorteile eine proaktive Behandlung von Störungen mit sich bringt. Eine eher von Nachhaltigkeit geprägte Ausrichtung statt eines optimierten Reagierens. Die eher strategische Planung eines Service Kataloges bzw. eines Service Portfolios ist aus meiner Sicht in der aktuellen Situation noch nicht nötig. Es fehlt jedoch der Prozess Service Level Management, der sicherlich in der Kommunikation mit der Geschäftsführung und den Fachbereichen helfen würde. Eine Aktivität, die von allen jedoch befürwortet wird, ist die Durchführung einer Kundenzufriedenheitsumfrage!
„Jetzt würde ich gern noch Namen dranschreiben!“ meine ich und freue mich, dass es keinen Widerspruch gibt. Für alle Prozesse finden sich Kollegen, die die Verantwortung für die weitere Arbeit an und in diesem Prozess übernehmen. Es folgt eine kurze Zusammenfassung aus der Gruppe für die neuen Prozess Manager aus den Schulungsunterlagen. Das Team setzt sich gerade intensiv mit IT Service Management auseinander!
Da wir sehr gut mit den Inhalten vorankommen, haben wir ausreichend Zeit, auch die Kommunikation zwischen IT und Business (sprich „Chefin“) anzugehen. Für alle ausgewählten ITSM-Prozesse motiviere ich die ITler, einmal aus Sicht des Business die Vorteile zu sammeln. Ich bringe die Teilnehmer dazu, ihre Ideen aus Sicht der Chefin zu bewerten und jeweils für die Prozesse zu prüfen, welchen Vorteil eben genau das Business davon hat. Es ist schon interessant, wie sehr diese IT doch schon aus Sicht der Business argumentiert. Man muss sie nur motivieren und anleiten. Im Business Coaching nennt man das Wahrnehmungs-Positionswechsel.
Für das Problem Management sehen die Kollegen die personelle Verantwortung für die nachhaltige Verbesserung der IT-Landschaft als wichtigen Punkt. „Da kann uns die Geschäftsführung packen und wir haben die eindeutige Regelung auch unter uns.„
Kapital läßt sich beschaffen, Fabriken kann man bauen, Menschen muss man gewinnen.
Hans Christoph von Rohr, ehemaliger Vorstandsvorsitzender Klöckner Werke AG
Der Feedback-Bogen zu meinen Seminaren beinhaltet unter anderem die Frage: „Wie hoch schätzen Sie den praktischen Nutzen (in Prozent) des Seminars ein?„. Nicht alle Teilnehmer können hierzu eine Einschätzung geben. Aber mehr als die Hälfte ringen sich zu einer Zahlenangabe durch und unterstreichen damit meinen positiven Eindruck: Die Zahlen reichen von 60% bis 80%! Ich habe keine Vergleichszahlen aus ITIL®-Schulungen, gehe aber davon aus, dass diese Werte dort nicht in dieser Form erreicht werden. Neben den Ideen zum weiteren Vorgehen nehmen die Teilnehmer auch eine gehörige Portion Motivation mit.
Ich wünsche dieser engagierten und motivierten IT-Abteilung, dass sie wirklich einen Teil von dem umsetzen kann, was wir in den zwei Tagen erarbeitet haben.