Oder: Warum bewährte Praktiken ein Konzept und einen Namen verdienen

Keep Management als formalisierte Organisationspraxis

In einer Zeit, in der Unternehmen von einer Herausforderung oder Krise in die nächste geraten und sich Veränderung scheinbar zum Dauerzustand entwickelt hat, wird ein Aspekt oft übersehen: das Bewahren des Bewährten. Keep Management ist kein revolutionäres Konzept, sondern die konsequente Systematisierung einer Funktion, die in erfolgreichen Organisationen schon immer intuitiv existierte. Es schafft Landungsbrücken im Fluss (oder Sturm?) des Wandels, bietet psychologische Sicherheit und sorgt dafür, dass Unternehmen inmitten von Unsicherheit und Veränderungsdruck nicht den Boden unter den Füßen verlieren. Für den Einzelnen wirkt dieser Ansatz wie ein sicherer Hafen in stürmischen Zeiten; er vermittelt Zuversicht und gibt die Kraft, auch dann nicht die eigene Basis zu verlieren, wenn alles um einen herum in Bewegung ist. Keep Management ist damit der Garant für Beständigkeit und Vertrauen – und genau das brauchen Unternehmen heute mehr denn je. Es fungiert somit als stabilisierender Gegenpol zum Change Management, indem es bestehende Werte, Prozesse und Erfolge bewahrt.

Historische Wurzeln: Die bewährten Prinzipien hinter dem Konzept und ihre systemische Verankerung

Die Grundprinzipien des Keep Managements stammen unter anderem aus der lösungsorientierten Beratung nach Steve de Shazer. Diese Prinzipien sind tief mit den systemischen Gesetzmäßigkeiten verwoben, die das soziale Miteinander und die Funktionsfähigkeit von Organisationen sichern.

Bildquelle: https://hanseatisches-institut.de/systemgesetze/ von Dieter Bishop

Das erste Prinzip der lösungsorientierten Beratung– „Repariere nicht, was nicht kaputt ist“ – entspricht dem systemischen Gesetz „Was ist, muss anerkannt werden“ und betont den Vorrang des Früheren vor dem Späteren. Es schützt vor vorschnellen Veränderungen und würdigt die Leistung und Geschichte des Systems.

Das zweite Prinzip von Steve de Shazer – „Finde heraus, was gut funktioniert und tue mehr davon“ – greift das Gesetz der Anerkennung von Leistung und Kompetenzvorrang auf. Es fordert, Stärken zu erkennen und gezielt zu fördern, statt Ressourcen für unnötige Neuerungen zu verschwenden.

Das dritte Prinzip – „Wenn etwas nicht funktioniert, versuche etwas anderes“ – spiegelt die Notwendigkeit des Ausgleichs von Geben und Nehmen wider und verlangt, die Realität zu akzeptieren und Verantwortung zu übernehmen, wenn ein Lösungsweg scheitert. Erst das ehrliche Anerkennen von Misserfolg eröffnet den Raum für echte Innovation und Weiterentwicklung.

Insgesamt zeigen diese Prinzipien, dass Keep Management nicht gegen Veränderung arbeitet, sondern systemisch absichert, dass Veränderung sinnvoll, nachhaltig und im Einklang mit den Grundgesetzen sozialer Systeme erfolgt. Indem es die systemischen Gesetzmäßigkeiten achtet, verhindert es, dass Veränderungsinitiativen das soziale Gefüge destabilisieren oder das Gefühl der Zugehörigkeit untergraben. So wird der Wandel selbst nicht mehr als Bedrohung erlebt, sondern als eine von der Gemeinschaft getragene und logische Weiterentwicklung des Bestehenden.

Systemische Fundierung: Warum Keep eine natürliche Organisationsfunktion ist

Organisationen sind lebendige Systeme, die wie biologische Organismen nach Gleichgewicht streben. In der Natur gibt es für jede Kraft eine Gegenkraft – Agonist und Antagonist, Sympathikus und Parasympathikus. Auch Unternehmen brauchen diese Balance zwischen Veränderung und Bewahren, um langfristig gesund zu bleiben. Systeme streben natürlicherweise nach Homöostase – einem Gleichgewicht zwischen Stabilität und Anpassung: Keep Management ist die institutionalisierte Form dieser natürlichen Selbstregulation, denn Bewahren ist ebenso essenziell wie Verändern. Es sorgt dafür, dass nicht alles dem Innovationsdrang geopfert wird, sondern dass Werte, Wissen und funktionierende Strukturen erhalten bleiben.

Die systemischen Gesetze wirken dabei wie unsichtbare Spielregeln. Werden sie missachtet, entstehen Konflikte, Widerstand oder sogar Krankheitssymptome im Unternehmen. Keep Management erkennt diese Gesetze an und nutzt sie, um soziale Ordnung, Zugehörigkeit und Gerechtigkeit zu sichern – die Basis für jede langfristig erfolgreiche Veränderung.

Komplementäre Beziehung: Wie Keep das Change Management stärkt

Keep Management steht nicht im Gegensatz zum Change Management, sondern ergänzt es als gleichwertiger Partner. Während Change Manager als „wertschätzende Progressive“ die Zukunft gestalten, agieren Keep Manager als „neugierige Traditionalisten“, die das Bewährte schützen und die Identität des Unternehmens sichern.

Diese Komplementarität zeigt sich in der Praxis: Keep Management schafft das notwendige Vertrauen, das Mitarbeitende brauchen, um sich auf Veränderung einzulassen. Es gibt den „Bremsern“ im System eine Stimme und verhindert blinden Veränderungsaktionismus. So entsteht ein Klima, in dem Wandel nicht als Bedrohung, sondern als Chance erlebt wird – weil das Fundament aus Stabilität und Zugehörigkeit gesichert ist. Keep Management schafft Vertrauen, auch als Basis für möglicherweise riskante Veränderungen.

Keep Management fungiert auf diese Weise als Korrektiv zur möglichen „Change-Raserei“, indem es durch die kritische Frage „Wofür ist das gut?“ die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Veränderungen hinterfragt . Diese Funktion ist entscheidend, um zu verhindern, dass Veränderungen um ihrer selbst willen vorangetrieben werden, ohne Rücksicht auf bestehende Werte, funktionierende Abläufe oder potenziell Bewahrenswertes. Es dient als eine Art Firewall, die prüft, ob eine Veränderung tatsächlich dem Unternehmen dient oder ob sie externen Impulsen, Trends oder einer internen Hyperaktivität folgt. Damit trägt Keep Management dazu bei, voreilige und potenziell schädliche Umbrüche zu vermeiden und stattdessen eine bewusste, zielgerichtete Entwicklung zu fördern.

Keep Management berücksichtigt die Stimmen und Perspektiven jener, die in Veränderungsprozessen oft als „Bremser“ oder „Ewiggestrige“ wahrgenommen werden, um Zielkonflikte und Identitätsverluste zu vermeiden. Diese Personen, die womöglich Bedenken äußern oder an Bewährtem festhalten möchten, werden nicht stigmatisiert, sondern als wertvolle Informationsquelle anerkannt. Ihre Sorgen können Aufschluss darüber geben, ob im Wandel wichtige Aspekte des Unternehmens oder der Belegschaft übersehen wurden, die tatsächlich funktionieren oder für die Identität des Unternehmens und seiner Mitarbeitenden zentral sind. Durch diese Integration der sogenannten „Bremser-Perspektiven“ kann Keep Management dazu beitragen, vorschnelle oder übereilte Veränderungen zu verhindern, die sonst zu unerwünschten Nebenwirkungen wie dem Verlust von Mitarbeiterbindung, internen Konflikten oder einer Entfremdung von der Unternehmenskultur führen könnten. Es geht darum, eine Balance zu finden, die die notwendige Anpassung ermöglicht, ohne die Wurzeln und die Identität der Organisation zu opfern

Aktuelle Relevanz: Antwort auf moderne Herausforderungen

Die heutige „Poly-Krise“ – ein Zusammenspiel aus Wirtschaftskrise, Pandemie, Klimawandel und geopolitischen Unsicherheiten – führt zu einer Überforderung vieler Menschen und Organisationen. Studien zeigen, dass die Veränderungsmüdigkeit in Unternehmen wächst; die ständige Jagd nach dem Neuen erschöpft die Mitarbeitenden (Studien zeigen, dass 72% der Mitarbeitenden von Erschöpfung durch ständige Umbrüche berichten).

Keep Management wirkt hier als stabilisierender Faktor. Es reduziert Komplexität, indem es Bewährtes sichtbar macht und schützt. In Zeiten, in denen alles im Wandel ist, wird das Bewahren zur Überlebensstrategie. Unternehmen, die diese Kraft systematisch nutzen, schaffen nicht nur Stabilität, sondern auch ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit – die entscheidende Grundlage für Change Management und nachhaltigen Erfolg.

Keep Management bietet in unsicheren und dynamischen Zeiten eine verlässliche Orientierung und schafft damit tragfähige Strukturen, die Menschen Halt geben. Es fungiert wie Schiffsplanken auf offener See, die auch bei rauer See Stabilität bieten und verhindern, dass Einzelne den Boden unter den Füßen verlieren. Durch diese stabilisierende Funktion ermöglicht Keep Management es den Betroffenen, trotz der Unwägbarkeiten des Wandels selbstbewusst und zuversichtlich ihren Weg zu gehen.

Praktische Integration: Umsetzungsansätze ohne organisationale Revolution

Keep Management muss nicht zwangsläufig als neue Rolle oder Organisationseinheit eingeführt werden. Vielmehr geht es darum, die Prinzipien und Perspektiven in bestehende Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse zu integrieren. Das kann durch regelmäßige Reflexionen, Werteaudits oder gezielte Fragen im Projektgeschehen oder in Meetings geschehen: „Welche Stärken wollen wir bewahren?“, „Welche Traditionen geben uns Halt?“ oder „Welche bestehenden Stärken schützt diese Veränderung?“.

Gerade in kleinen Unternehmen können Teams gemeinsam die Keep-Funktion übernehmen. Entscheidend ist die Haltung: Das Bewahren von Wissen, die Würdigung von Leistung und die Sicherung von Zugehörigkeit werden zu festen Bestandteilen der Unternehmenskultur. So entsteht eine Balance zwischen Wandel und Kontinuität – ohne Bürokratie, aber mit viel Wirkung.

Fazit: Evolution bestehender Praktiken statt Neuerfindung

Keep Management ist keine neue Management-Mode, sondern die bewusste Anerkennung und Institutionalisierung dessen, was Organisationen schon immer erfolgreich gemacht hat. Es schafft ein Gegengewicht zur einseitigen Veränderungsorientierung und ermöglicht nachhaltige Transformation, weil es die systemischen Grundgesetze menschlichen Miteinanders achtet und ihnen Raum sowie Bestätigung gibt.

Die wahre Innovation liegt darin, Bewahren und Verändern als gleichwertige Pole zu begreifen. Erst das Zusammenspiel beider Kräfte macht Unternehmen zukunftsfähig – und gibt den Menschen Halt im Wandel. Bewährte Praktiken verdienen einen Namen, weil sie die Basis für echten Fortschritt sind.

 

Quellen/Literatur

Logo Dierk Söllner