Keep Management - die andere Seite von Change

Titelbild Podcast Business Akupunktur

Horst Lempart über den Sinn von Veränderung

Repariere nicht, was nicht kaputt ist… […] Die Veränderungsmüdigkeit und Überforderung sind real.

Horst Lempart über die Ziele von Veränderungsprozessen

Finde heraus, was gut funktioniert und tue mehr davon

Horst Lempart über seine persönliche Art

Wenn es mir und dem Klienten gelingt, auch in depressiven Phasen den Humor zurückzufinden, dann ist das fantastisch

Horst Lempart über Stabilität in Veränderung

Das ganze Leben ist Veränderung, aber wir brauchen auch Stabilität

Zusammenfassung

In dieser Episode des Podcasts „Business Akupunktur“ hatte ich die Freude, mit Horst Lempart über das Konzept des Keep Managements zu sprechen. Horst, der sich selbst als „Persönlichkeitsstörer“ bezeichnet, erläuterte, wie Keep Management als Gegenpol zum allgegenwärtigen Change Management fungiert. Er betonte, dass in einer Zeit ständiger Veränderungen und Krisen viele Menschen unter Veränderungsmüdigkeit und -überforderung leiden. Keep Management soll hier als stabilisierender Faktor wirken und die Selbstregulationskompetenz der Mitarbeiter stärken. Horst stellte die drei Grundprinzipien des Keep Managements vor: Repariere nicht, was nicht kaputt ist; finde heraus, was gut funktioniert und tue mehr davon; wenn etwas trotz vieler Anstrengungen nicht funktioniert, versuche etwas anderes. Er erklärte, wie Keep Manager als „neugierige Traditionalisten“ agieren und sich auf die Werte und Stärken des Unternehmens konzentrieren. Anhand konkreter Beispiele zeigte Horst, wie Keep Management in der Praxis aussehen kann – von der Verbesserung der IT-Kommunikation bis hin zur Neuausrichtung von Teamstrukturen. Besonders interessant fand ich Horsts Ausführungen zum lösungsorientierten Beratungsansatz und seine Sichtweise auf Probleme als Wirklichkeitskonstruktionen. Er betonte, dass Veränderung nicht um ihrer selbst willen stattfinden sollte und dass Keep Management hilft, einen ausgewogenen Ansatz zwischen Bewahren und Verändern zu finden. Insgesamt bot das Gespräch mit Horst wertvolle Einblicke in einen oft vernachlässigten Aspekt des Managements und zeigte Wege auf, wie Unternehmen Stabilität und Veränderung in Einklang bringen können.

Transkript der Episode

​Dierk

Hallo und Herzlich Willkommen zur 36. Episode des Podcasts „Business Akupunktur“ mit dem Titel „Keep Management“, die andere Seite von Change. Ich freue mich auf dieses Thema und mein Gast Horst Lempart. Ich habe das Thema und Horst beim Aufräumen meiner digitalen Ordner gefunden. Da befand sich das Heft 254 des Verlages Manager Seminare aus dem Mai 2019 noch im Eingangsordner. Keine Ahnung, wie es dort hingekommen ist, aber es war da.

Und eigentlich halte ich mich für einen sehr strukturierten und ordentlichen Menschen und fünf Jahre später… egal. Ich habe es aber zum Glück noch durchgeblättert dieses PDF. Ich hätte ja auch sagen können fünf Jahre alt, weg damit. Nein. Und da habe ich von Horst einen zweiseitigen Beitrag gefunden mit dem Titel Bewahren ist oft besser als Verändern.

Und das war irgendwie so ein Kick, wo ich da hin komme. Horst bei LinkedIn direkt angeschrieben und wir haben schnell zueinander gefunden. Und er hat mir zugesagt, hier zu Gast zu sein. Und jetzt sprechen wir heute zusammen. Der Begriff Keep Management ist nicht so geläufig. Und das finde ich eben auch so interessant. Wir alle reden über Change Management, Organisationsentwicklung und so weiter.

Und diesen Artikel, den werden auch viele nicht gelesen haben. Auch diesen Begriff werden viele nicht kennen. Und deswegen gebe ich mal als kleinen Spoiler für alle die, die jetzt denken, darf ich noch weiter zuhören, drei Grundprinzipien mal aus dem Artikel zum Einstieg. Repariere nicht, was kaputt ist.

Zweites Grundprinzip: Finde heraus, was gut funktioniert und tue mehr davon. Und drittens, wenn etwas trotz vieler Anstrengungen nicht funktioniert, versuche etwas anderes. Das soll uns mal so ein bisschen heute durch das Gespräch leiten.

Und wie gesagt, der Titel heißt ja Keep Management, die andere Seite von Change. Also wir reden heute vielleicht über Anti-Change Management. Das weiß ich noch nicht. Horst Lempart als mein Gesprächspartner sieht sich als Persönlichkeitsstörer. Das ist sein Arbeitstitel und seine Rolle. Liebevolle Irritationen sollen Richtungswechsel im Denken ermöglichen. Sein Motto: Wertschätzung zum Menschen. Respektlos zum Problem. Ist übrigens ein cooles Motto, aber das werde ich nicht kopieren Horst, das ist schon dein Motto. So, Humor ist eine wesentliche Ressource in seinen Coachings und seinen Trainings. Dabei lacht er auch gerne über sich selbst. Auch das durfte ich im Vorgespräch schon erleben. Als Autor bringt er viele seiner eigenen Themen aufs Papier und in seinen Vorträgen spannt er den Bogen von wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Alltagspsychologie hinein in die Lebenswirklichkeit der Menschen.

Horst ist Jogger, Radler und Wanderer, ausgebildeter systemischer Coach und Business Coach sowie zweifacher Privatdozent. Horst, herzlich willkommen und vielen Dank für deine Zeit. Habe ich bei der Vorstellung irgendwas vergessen?

Horst

Hallo, erst mal schönen guten Morgen. Toll, dass ich dabei sein darf. Gleich noch eine Ergänzung. Also, eines dieser Axiome, eines dieser drei Grundprinzipien lautet, repariere nicht, was nicht kaputt ist. Ja, also was kaputt ist, soll schon repariert werden. Aber repariere nicht, was nicht kaputt ist, das ist ein ganz wesentlicher Unterschied. Und ja, der Persönlichkeitsstörer, das ist meine mir angestammte Rolle. Dafür habe ich mich seinerzeit entschieden,

Weil die erstens mehr Aufsehen erregt, als Business Coach, da gehen die Leute ja schon, wenn die sowas hören, schon wieder so ein Berater. Und der Persönlichkeitsstörer ist eben mein Arbeitstitel, am besten zusammengefügt, du hast es eben schon erwähnt, wertschätzend zum Mensch, respektlos zum Problem. Und da drin findet sich eben viel Humor wieder und das ist eine ganz zentrale Ressource. Also wenn es mir und dem Klienten gelingt auch in depressiven Phasen, in Stressphasen irgendwie den Humor zurückzufinden, dann ist das fantastisch. Da haben wir eine große Freiheit im Denken wiedergefunden. Das ist schön. Ja.

Dierk

Ja, ja, völlig gut. Ich sehe es ja. Die Zuhörenden sehen das nicht. Ich sehe es, aber man hört es auch. Also insofern werden wir heute bestimmt auch viel Spaß haben, aber natürlich auch ein bisschen Wissen transportieren. Meinen Gästen stelle ich zum Einstieg immer die Frage Was hast du gedacht, als du zum ersten Mal den Titel Business Akupunktur dieses Podcast gehört hast?

Horst

Zuerst muss ich mal schmunzeln. Und das hat mich sehr angesprochen, weil ich eine große gemeinsame Schnittmeldung entdeckt habe. Business-Akupunktur, das sind ja pointierte, kleine, ich sag mal so mikroinvasive Sticheleien.

Also ich habe irgendwie einen Punkt gesetzt und der löst etwas aus. Da kommt Energie ins Fließen. Und das ist ja so meine Art und Weise des Arbeitens. Also zu mir kommen ja keine Leute, die sagen, mach mich gesund und ich verschreibe ein Rezept. Sondern das sind ja so kleine Spitzfindigkeiten. Die habe ich in dieser Akkupunkturnadel wieder entdeckt. Das matcht. Das ist gut. Wir sollten zusammen was machen. Und deswegen habe ich mit Freude zugestimmt. Ich bin halt nicht dieser Chaka-Chaka-Bühnenshow-Typ, der da, wie jetzt alle, in Köln 10.000 Leute entertaint, sondern eher mit Kleinigkeiten weiterhilft. Das hat mich beeindruckt.

Dierk

Ja, sehr gut. So, jetzt habe ich gesagt, der Artikel, der uns zusammengebracht hat, das sind, ich sage mal, nur zwei Seiten. Dieses nur in Anführungsstrichen. Aber wichtig ist ja, der ist über fünf Jahre alt mittlerweile. Hat sich seitdem etwas geändert? Ist er überhaupt noch aktuell?

Horst

Die Zeit bleibt ja nicht stehen, wenn wir rumgucken, beobachten wir ja, was sich auf der Welt alles ändert, in den Organisationen sich ändert. Also der ist heute mindestens so aktuell wie vor fünf Jahren. Ich finde sogar, dass er noch aktueller ist. Noch aktueller durch anhaltende Krisen, diese Veränderungsdynamik, die wir in allen Lebensbereichen spüren, lässt es ja nicht unberührt, die betrifft ja jeden einzelnen unmittelbar. Also auch gesamtgesellschaftlich erlebe ich ja sowas wie eine Veränderungsmüdigkeit oder Überforderung. Also diese immer schneller werdenden Wechsel, diese kürzeren Vorhaltezeiten von Veränderungen und so weiter werden ja häufig von vielen Menschen tatsächlich als Krise erlebt und sind damit total überfordert.

Und was ich beobachte ist, dass es angeblich zwei Gegenmittel gibt. Das eine ist, wir müssen die Resilienzfähigkeit trainieren. Leute müssen resilienter werden. Und auf der anderen Seite heißt es, wir müssen die Agilität fördern. Resilienztraining und Agilität fördern. Das scheinen mir so zwei Allheilmittel zu sein.

Aber das knüpft ja daran an, dass alles auf das Individuum runtergebrochen wird. Du bist dafür verantwortlich, ob Veränderung gelingt. Und wenn du nicht resilient und nicht agil bist, dann hast du ein Problem. Aber ich bin Systemiker und ich sage mir, das ist zu kurz gesprungen. Wir brauchen auch einen Blick auf das System, in das System, mit allen anderen daran beteiligten Akteuren, die wir nicht aus dem Auge verlieren dürfen.

Einher geht eben auch so eine Reizbarkeit und so eine Empörung in der Bevölkerung. Ich erlebe das gesellschaftlich, aber auch in den Organisationen. Die Leute sind es teilweise satt, permanent sich auf ein Neues einstellen zu müssen.

Dierk

Ja, ich fand zwei Wörter von dir eben sehr gut. Veränderungsmüdigkeit. Das klingt ja vielleicht so ein bisschen negativ. Also könnte man zumindest so interpretieren. Deswegen fand ich den Begriff Veränderungsüberforderung. Den fand ich sehr, sehr passend, weil wir ja viele Menschen eben aktuell überfordern mit Dingen, die wir gar nicht gestalten können. Ja, also Kriege, Krisen, Pandemie und so weiter. Wir möchten Dinge verändern, weil wir glauben, dass die Veränderung was Positives bringt. Also Veränderungsüberforderung.

Absolut d’accord. Du hast es eben ja auch schon gesagt, dass du, was du auch im Artikel geschrieben hast, du sprichst über die Überbetonung von Change Management. Also es wird das Thema Change Management überbetont. Wir sind uns glaube ich beide einig, dass wir Veränderungen brauchen, aber eben die Frage ist, in welcher Dosis und vor allen Dingen wie.

Und das, was du im Artikel Keep Management genannt hast, was sich auch im Titel wieder findet, ist quasi das Gegengewicht. Das heißt also, wenn ich es richtig verstanden habe, sagst du, dass Veränderung oft um ihrer Selbstwillen betrieben wird, ohne Rücksicht auf die bestehenden Vorteile, also das, was schon da ist und was funktioniert und was auch schon an Werten da ist. Würdest du sagen, dass das Keep Management so eine Art Konzept ist, dagegen zu wirken oder das in richtige Bahnen zu bringen?

Dagegen zu wirken klingt jetzt schon so oppositionell, wir sind dagegen. Ich denke eher an eine komplementäre Kraft, also so ein Antagonist. Etwas, das den Scheinwerfer mal in eine andere Richtung lenkt. Ich möchte gerade noch einen Gedanken anfügen, der mir in dem Zusammenhang auch ganz wichtig ist. Also Geschichte ist ja Teil unserer Identität. Wenn wir uns selbst erklären, dann blicken wir zurück. Was macht mich aus? Das sind unsere Narrationen.

Also wer bin ich? Wo komme ich her? Wo gehöre ich hin? Und diese Narrationen, diese Bilder, Erfahrungen aus der Vergangenheit machen ja einen wesentlichen Teil unseres Selbstkonzeptes aus. Wenn wir das jetzt im Change-Prozess nicht ausreichend berücksichtigen, dann stellen wir einen Teil unserer Identität in Frage. Das ist ja etwas, was ich ganz häufig beobachte.

Die alten Hasen, die Geschichte mit geprägt haben, die fragen sich, wo finden wir uns wieder? Und ich habe häufig den Eindruck, dass wir sehr, sehr leichtfertig mit diesen Narrativen umgehen. Dass wir zu schnell darüber hinweggehen, was die Geschichte uns für Botschaften liefert. Und da kommt eben dieses Keep-Management ins Spiel.

Also das ganze Leben ist Veränderung. Ich glaube, das kann ich auch als Keepmanager mittragen. Ja, also wir können nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen. Und trotzdem können wir ja Veränderungen gestalten. Das ganze Leben ist Veränderung. Deswegen braucht es ja gerade den Antagonisten der Stabilität. Also alles ist ja polar aufgebaut. Und deswegen bin ich zutiefst überzeugt, dass es auch hier ein Regulativ braucht. Wenn unser Leben von Unsicherheiten geprägt ist, dann müssen wir uns denen ja stellen, denn Unsicherheiten stehen ja Grundbedürfnisse entgegen. Also Bedürfnisse nach Kontinuität, Bedürfnisse nach Orientierung, Bedürfnisse nach Kontrolle und so weiter und so weiter. Und oft werden diese menschlichen Grundbedürfnisse aus meiner Perspektive eben nicht ausreichend bedient in Change-Prozessen.

Da kommt jetzt so eine Art von Selbstregulation ins Spiel. Das heißt, selbstregulierend kann ich durch eine innere Sicherheit, also die Selbstsicherheit unterstützen, durch diese unsicheren Phasen hindurchzukommen.

Diese ganze Familie dieser Selbst, also Selbstwert, Selbstbild, Selbstwirksamkeit, Selbstregulation und so weiter, das sind ja unsere Anker in Veränderungsprozessen. Der Keep Manager baut vor allen Dingen darauf, diese Selbstregulationskompetenz mehr ins Auge zu fassen und zu schauen, wie kannst du dir mehr eigene Sicherheit aufbauen. Der übergeordnete Sinn dahinter ist im Prinzip Selbstführung. Also ich suche nicht in Führung im Außen, sondern wie führe ich mich selbst?

Du hast es eben schon gesagt, du schlägst die Rolle eines Keep-Managers vor. Wir alle kennen Change-Managers, die verändern etwas, die sind für die Veränderung verantwortlich. Wenn ich jetzt ein bisschen Ironie reinbringe, dann kann ich sagen, ist nicht das ganze Leben Veränderung? Wozu brauchst du überhaupt Stabilität?

Du hast aber im Prinzip die Antwort ja eben schon gegeben. Stabilität beinhaltet genau die Punkte, die für uns Menschen auch wichtig sind. Also Veränderung, das ganze Leben ist Veränderung, aber wir brauchen auch Stabilität. Was macht so ein Keep-Manager? Und hast du vielleicht auch schon mal bei einem Unternehmen oder bei Herausforderungen sozusagen Keep-Manager eingeführt? Was kannst du dazu berichten?

Horst

In Vorbereitung hier auf unser Interview bin ich noch mal in die Literatur eingestiegen und habe noch mal geguckt, wo begegnet mir das eigentlich? Und ich fand eine Erklärung dafür wahnsinnig spannend. In der Seemannssprache bedeutet ein Keep so eine Rille oder Einkerbung in einem Stück Holz. Und zwar da, wo das Taufer läuft. Das heißt also, das ist eine Führungsrille. Die unterstützt dabei quasi in der Spur zu laufen. Und da habe ich gedacht, das ist eigentlich eine schöne Metapher dafür. Also da ist ja Bewegung drin, das Seil muss sich ja irgendwie so bewegen und gleichzeitig wird es aber auch geführt. Insofern noch mal eine schöne Analogie darüber, was KEEP ermöglicht. Also eine gute Führung in Bewegung.

Und ich möchte noch mal einen Gedanken äußern, der zur Beantwortung der Frage, was macht ein Keep-Manager überhaupt und als Abgrenzung zum Change-Manager wichtig ist. Also unser Gehirn liebt und hasst Überraschungen. Es liebt Überraschungen, wenn wir zum Beispiel an Weihnachten ein Päckchen aufmachen oder zu Geburtstag ein Päckchen aufmachen. Dann wird Serotonin, also Glückshormon ausgestoßen,

Was ist da wohl drin? Das sind die schönen Aspekte von Change, von Überraschungen. Aber dann gibt es auf der anderen Seite eben auch böse Überraschungen. Das sind vor allen Dingen Überraschungen, die wir nicht frei gewählt haben, die auf uns zukommen. Und dann wird eben kein Glückshormon ausgeschüttet, sondern dann wird Adrenalin ausgeschüttet. Das erleben wir das als Stress.

Und genau von diesen Situationen rede ich in erster Linie nämlich von nicht selbst gewählten Change-Prozessen, also wo von außen quasi die Notwendigkeit an mich herangetragen wird. Das ist jetzt unumkehrbar oder unumgänglich und deswegen müssen wir jetzt Veränderungen initiieren und das löst in vielen Menschen Stress aus. Und jetzt kommt die Aufgabe des Keep-Managers, nämlich Menschen dabei zu begleiten und zu unterstützen, Selbstkontrolle, ich habe es eben schon mal erwähnt, Selbstsicherheit zu bewahren. Und diese Selbstsicherheit dockt ganz elementar an, auch an dem Selbstkonzept, an dem Selbstwert der Beteiligten. Also Keep-Manager beschäftigen sich zentral mit den Werten des Unternehmens. Das machen die viel deutlicher als ein Change Manager.

Der Change Manager guckt so deutlich in die Zukunft und sagt, welche Wertigkeit bekommt etwas in Zukunft. Und der Keep Manager schaut, was sind denn die traditionellen Werte unserer Organisation und dieses Unternehmens. Das heißt also, er reguliert dieses Spannungsverhältnis zwischen den Zielen einerseits und den Wurzeln des Unternehmens andererseits.

Er schaut also ganz deutlich auf die verfügbaren Ressourcen, die im Unternehmen sind und ist ein Bindeglied zwischen dem Change Management, ich würde mal sagen der F&E, also Forschung und Entwicklung, und den Führungskonzepten in der Organisation.

Vereinfacht dargestellt, nenne ich mal drei gute Gründe für Keep-Management. Einmal sorgt ihr für Kontinuität und Stabilität in der Organisation. Bedeutet das, was läuft, wir hatten es ja eben schon gesagt, das wird nicht repariert. Also präparieren nicht, was nicht kaputt ist.

Er arbeitet heraus, wo die Stärken des Unternehmens sind und hält die aufrecht bzw. baut sie aus. Er sorgt auch dafür, dass Wissen im Unternehmen bleibt und nicht abwandert. Gutes Wissen ist ja Kapital und insofern unterstützt der Keep Manager dazu, dass die Abwanderung der Verlust von wertvollem Know-how eben unterbunden wird und Wissen im Unternehmen bleibt, dokumentiert das und bewahrt das auch. Und drittens sorgt er dafür, dass erfolgreiche bestehende Prozesse eben weiter implementiert bleiben. Er optimiert die auch, er baut die aus, aber er will sie nicht grundlegend in Frage stellen und verändern. Das heißt, dadurch haben wir eine Effizienz- und Effektivitätssteigerung, die das Keep-Management ermöglicht.

Er behält auch im Auge, welche Kosten und Risiken mit ständigen Veränderungen verbunden sind. Das ist ja auch immer eine Wirtschaftlichkeitsrechnung. Also die Frage, die da steht, lautet auch, ist es jetzt überhaupt zwingend, dass wir auf diesen Veränderungszug aufspringen. Das sind also die ganz zentralen Veränderungen oder Unterschiede vom Keep Manager zum Change Manager. Es sagt immer, wir brauchen einen neugierigen Traditionalisten, den Keep Manager, und wir brauchen einen wertschätzenden Progressiven als Change Manager. Neugierig traditionell und wertschätzend progressiv. So könnte man vielleicht diese Balance darstellen.

Dierk

Ja, jetzt haben wir schon über den Keep Manager gesprochen. Da ist ja schon ziemlich viel darüber gekommen. Lass uns doch nochmal über diese drei Grundprinzipien sprechen. Also die drei Grundprinzipien, die ich in der Einleitung schon erläutert habe. Kannst du die mal ein bisschen näher erläutern und auch vielleicht noch ein paar Beispiele dazu geben?

Horst

Also ich docke da an Steve the Chaser an. Ja, das ist ein Psychotherapeut gewesen, der in den Fokus gerückt hat, die Dinge einfach zu handhaben. Also er war ein großer Freund des Vereinfachens, nicht des Trivialisierens und nicht des Banalisierens, aber sein Dogma war, macht die Dinge einfach. Deswegen hat er in der lösungsorientierten Beratung drei Dinge auf den Punkt gebracht. Erstens, repariere nicht, was nicht kaputt ist. Also lass, was ganz ist. Zweitens, finde heraus, was gut funktioniert und tue mehr davon, baue es aus. Und das Dritte war, wenn etwas nicht funktioniert, trotz vieler Anstrengungen, die du unternommen hast, dann hör auf damit und versuche etwas anderes.

Das Keep-Management, das verschreibt sich in erster Linie den Punkten 1 und 2. Also repariere nicht, was nicht kaputt ist, sondern bewahre es und finde heraus, was gut funktioniert und tue mehr davon.

Ich will die drei Dinge einfach nochmal kurz erklären. Also repariere nicht, was nicht kaputt ist. Das ist ein Beispiel. Also wenn ein Arzt gerade im OP steht und am Herz operiert, dann käme der nicht auf die Idee, während des laufenden OP Prozesses jetzt an der Optimierung der Herz-Kreislaufmaschine zu arbeiten. Da ist der Zeitpunkt einfach falsch. Und eine ganz zentrale Frage im Change Management ist auch, ist der Zeitpunkt richtig.

Vor allen Dingen entstehen Innovationen in der Regel eben nicht, aus meiner Erfahrung,  bei Change-Prozessen im laufenden Betrieb, sondern lokal, eher irgendwo in der Garage. Also denken wir darüber nach, wie die Glühbirne entstanden ist, wie der Verbrennungsmotor entstanden ist und wie der Computer entstanden ist. Das waren keine großen Change-Prozesse, sondern da haben sich Leute Gedanken gemacht, per trial and error Dinge ausprobiert und dadurch entstand Fortschritt und Innovation. Also repariere nicht, was nicht kaputt ist. Nicht da Hand ansetzen, wo Dinge am Laufen sind.

Punkt 2, finde heraus, was gut läuft und tue mehr davon. Ich mache das mal an einem Kundenbeispiel fest. Viele positive Effekte, die in einem Unternehmen deutlich greifen, müssten gar nicht verändert werden, sondern sie müssten anders kommuniziert werden. Das ist etwas, was sich gerade unsere Politiker auch ganz häufig auf die Fahne schreiben. Die sagen, ja, die Idee war gut, die Maßnahmen waren ganz ganz toll, wir haben sie nur nicht richtig kommuniziert. Die Botschaft kam nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern an.

Jetzt will ich hier keine politische Diskussion führen, ob das richtig oder falsch, gut oder schlecht ist. Aber die Botschaft ist, wir brauchen es gar nicht zu ändern, sondern wir sollten es anders kommunizieren, deutlicher kommunizieren. Ich sage immer, wir sollten es klarer ins Schaufenster legen. Wir müssen einfach mehr werben dafür, dass das gut ist. Ich erinnere an das Pareto-Prinzip. Wenn du mit 20 Prozent deiner Produkte 80 Prozent des Umsatzes erzielst, konzentriere dich auf die 20 Prozent. Also mache mehr davon und baue diese 20 Prozent aus, nicht die anderen 80 Prozent. Da stimmt die Kosten-Nutzen-Relation nicht. Also wenn es gut läuft, tue mehr davon. Und das Dritte, also trotz vieler Anstrengungen, funktioniert nichts, dann hör auf damit. Auch eine Aussage, ich meine auch von Steve de Schaeser, wenn du willst, was du noch nie gehabt hast, dann tue, was du noch nie getan hast. Ich finde diesen Spruch einfach so, herzzerreißend schön, was ich ganz oft bei meinen Klienten beobachte. Wenn etwas nicht funktioniert, dann machen die nichts anderes, sondern dann verdoppeln die ihre Anstrengungen. Ich sage dann immer, mein Gott, Sie sind jetzt mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen und anstatt einen Weg links und rechts dran zu suchen oder drüber zu klettern, nehmen Sie mehr Anlauf und laufen mit noch mehr Karacho gegen diese Wand. Aber das schmerzt nur, da bahnt sich eine blutige Nase.

Nehmen Sie es als Lernschleife oder als Feedback und dann machen Sie etwas anderes. Und da braucht es halt häufig auch wieder diesen Perspektivwechsel, die Entspanntheit, dieses Innehalten, um zu gucken, okay, also mehr vom selben bringt mich jetzt nicht weiter.

Ich brauche eine andere Strategie. Und dabei kann der Keep Manager wieder fantastisch unterstützen, nämlich sich diese Auszeit zu holen und mal besonnen zu überlegen, welche Veränderung ist notwendig, was macht Sinn, aber was macht auch keinen Sinn.

Dierk

Hast du noch ein paar weitere Beispiele für die Tätigkeit eines Keepmanagers? Oder wenn wir es nicht auf so eine Rolle runterbrechen, auf das Thema Keepmanagement. Du hast ja schon ein paar wichtige Elemente genannt, du hast auch die Rolle schon ganz gut beschrieben. Hast du noch ein paar Beispiele?

Horst

Ich greife mal ein oder zwei Beispiele raus, wo ich das tatsächlich mit Teams erlebt habe. Im Rahmen einer IT-Klausurtagung, das waren Unternehmen, waren so 20 Teilnehmende dabei, aus einer Pflegeeinrichtung, da ging es um den Wunsch, die internen Prozessabläufe, Arbeitsprozesse zu verändern und eine grundsätzliche Neuausrichtung der Kommunikation zu den Anwendern zu ermöglichen. Wir haben ITler und wir haben Anwender. Da treffen ja manchmal tatsächlich zwei Welten aufeinander. Also so habe ich das erlebt in meiner Vergangenheit. Da haben wir uns aber dazu entschlossen, dass wir jetzt nicht nur im eigenen Saft schmoren, sondern wir haben gesagt, wenn es darum geht, Nutzer und Anwender orientiert zu arbeiten, dann sollten wir auch die Fragen, die zukünftig davon betroffen sein werden. Das heißt also, wir haben die anderen mit an Bord geholt. Wir haben uns dazu entschieden, Anwender mit in diesen Change-Prozess aufzunehmen. Und wir starteten mit einer einfachen Übung. Ich habe die Frage gestellt, was ist typisch für die anderen? Das heißt, die ITler haben gesagt, das ist ganz typisch für die Anwender. Und die Anwender haben die Frage beantwortet, was ist ganz typisch für die ITler? Und die haben dann mit Vorurteilen und Erfahrungen und so weiter eben erst mal so richtig angefangen zu spielen und sich quasi zuzuschreiben und zugeordnet. War auch total lustig. Wir räumten also mit diesen Vorurteilen auf. Und siehe da, was rauskam, grundsätzlich waren die Anwender sehr zufrieden mit den Leistungen der IT-Abteilung.

Die haben gar nicht gesagt, was die rüberbringen, ist grottenschlecht. Sondern es gab zwei Dinge, wo die Verbesserungsbedarf sahen. Die haben gesagt, wir brauchen eine schnellere und leichtere Erreichbarkeit. Wenn wir bei euch anrufen, dann geht keiner ran. Oder wir haben eine Mailbox, die uns nicht weiterhilft, wenn wir in Not sind. Und ein zweiter Aspekt war die Art der Priorisierung. Wenn jetzt ein genervter Anwender anruft, für den gerade der Weltuntergang statt findet, ja, aber der ITler sieht das ja aus einer völlig anderen Brille. Der sagt, ja, ich habe gerade eine völlig andere Prioritätsliste bei mir hier auf dem Schreibtisch. Das heißt, wir haben uns im Schwerpunkt an diesen beiden Dingen entlanggearbeitet, also die Erreichbarkeit der IT-Abteilung und die Art der Priorisierung von Tickets, die da aufgemacht werden.

Damit verschob sich aber der gesamte Prozess. Am Ende wurde unglaublich viel beibehalten und viel, viel weniger Veränderung notwendig als ursprünglich gedacht. Die IT-Abteilung entdeckte für sich den Spruch am Ende wieder, tue Gutes und sprich darüber. Wie verkaufen wir uns intern? Das ist allerdings völlig anderes Ergebnis, als von Anfang an prinzipiell alle Strukturen und alle IT-Prozesse auf den Kopf zu stellen.

Also wir konnten viel mehr bewahren und haben es nur anders kommuniziert. Und ein zweites Beispiel, das ist noch gar nicht so lange her, da wurde ich von einem Unternehmen engagiert mit dem Auftrag, wir haben hier eine Gruppe von Mitarbeitern, Herr Lempart, machen Sie mit denen Teamentwicklungen, daraus muss ein Team werden.

Dierk

Ist der Klassiker.

Horst

Genau, da klingeln bei mir immer alle Alarmglocken. Da habe ich gesagt, ach du liebes Bisschen. Teams sind sexy, jetzt muss ein Team draus werden. Was habe ich dann gemacht? Ich habe spielerisch die Gruppe in zwei Seiten dividiert. Quasi ein Gerichtssaal inszeniert. Die eine Seite vertrat die Vorteile des Status quo, also sie machen so weiter wie bisher. Und die andere Seite forderte den Wandel hin zum Team. Also alles bleibt, wie es ist. Und die andere Seite war quasi die Anwaltsseite, wir müssen ein Team werden. Und die haben dann quasi Plädoyers erarbeitet, was spricht für Veränderung, was spricht gegen Veränderung.

Was am Ende dabei herauskam, war eine ganz spannende Erkenntnis. Die haben nämlich gesagt, Mensch, wir stellen gerade fest, damit wir erfolgreich zusammenarbeiten werden in der Zukunft, brauchen wir kein Team. Die haben einen anderen Begriff geprägt. Die haben gesagt, wir wollen uns als Gemeinschaft erleben. Wir wollen ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln mit verbindenden Werten. Wir arbeiten an einem gemeinsamen, übergeordneten Auftrag, aber sehr autonom in den einzelnen Arbeitsbereichen.

Und das Ergebnis war, dass sie unbenutzte Ressourcen gebündelt haben, dass sie Synergien entdeckt haben. Aber am Ende dieser Veranstaltung war die Gruppe kein Team, sondern eine wunderbare Arbeitsgemeinschaft. Und die Leute sind da rausgegangen und haben gesagt, das ist eine schöne Freiheit. Wir haben den Anspruch abgelegt, hier ein ganz großes Team werden zu müssen mit 20 Leuten.

Reinhard Sprenger sagt, das ist eh alles Bullshit. Gut funktionierende Teams können maximal aus drei, vier, vielleicht fünf Leuten bestehen, aber große Teams können überhaupt nicht kooperieren. Das erleben die als große Befreiung. Das heißt also, dieser Change-Prozess, der war schneller beerdigt, als er entstanden war.

Dierk

Was ich schön fand bei deinem zweiten Beispiel war, dass ja du dann die Rolle eines Keep Managers institutionalisiert, ohne dass das ein Mensch gemacht hat. Du hast ja gesagt, wir haben jetzt hier die Gruppe Change und wir haben die Gruppe Keep. Weil das, glaube ich, ist etwas, was eben wichtig ist. Man muss nicht diese Rolle definieren. Also man muss sicherlich dafür sorgen, dass die Aufgaben dieses Keep Managers oder die Aufgaben im Keep Management, dass die gemacht werden, dass die auch von guten Menschen oder von hilfreichen Menschen umgesetzt werden, aber man muss jetzt nicht sozusagen eine weitere Rolle definieren, der überall mit eingeladen werden muss, sondern man muss einfach dafür sorgen, dass diese Gedanken und diese Prinzipien, von denen du auch gesprochen hast, dass die erkannt werden, dass die umgesetzt werden, dass die Beachtung finden.

Horst

Sehr schön dargestellt. Also ich gucke ja auch immer, welche Möglichkeiten bietet mir das System überhaupt. Wenn ich in einer Organisation arbeite, wo mehrere hundert oder ein paar tausend Leute arbeiten und Change-Projekte durch Change-Manager begleitet werden, da kann ich auch sagen, okay, dem stellen wir einen Keep-Manager zur Seite. Aber ich arbeite ja auch manchmal in kleinen Familienbetrieben, Handwerksbetrieben, wo nur eine überschaubare Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern da sind. Die können sich den Luxus ja gar nicht leisten, da noch Personal abzustellen, die jetzt nur in diesen Rollen unterwegs sind oder begleitet noch in diesen Rollen, da reicht es durchaus aus, das auch tatsächlich ideologisch quasi mit in den Prozess zu bringen und sagen, also diese Kraft berücksichtigen wir auch im Prozess. Ich glaube, das ist eigentlich das Wesentliche, das ist schön, wenn ich das personell auch irgendwie verorten kann. Es ist aber nicht zwangsweise notwendig, um die Idee und den Wert dieses Keep Thinking einfließen zu lassen. Das hast du genau so dargestellt, wie ich das auch erlebe in den Organisationen.

Dierk

Bevor wir noch ein bisschen über das Thema Keep and Change reden, du hast eben gesagt, dass du das Konzept oder den Ansatz von Steve de Chazer benutzt hast, dass du dich davon hast inspirieren lassen. Kannst du den nochmal kurz darstellen, diesen lösungsfokussierten Beratungsansatz?

Horst

Also die Lösung kann auch darin liegen, dass alles bleibt, wie es ist. Lösungsorientiert bedeutet, nicht überproportional stark auf das Problem zu schauen, was ja viele machen, weil sie den Anspruch haben, ich muss das Problem verstehen. Davon habe ich mich längst gelöst, weil ich die Erfahrung gemacht habe, ich verstehe das Problem meiner Klienten und der Systeme, mit denen ich arbeite, sowieso nie. Ich habe davon überhaupt gar keinen Plan. Also am Anfang habe ich versucht, Sicherheit für mich herzustellen, indem ich versuchte das Problem zu verstehen.

Der lösungsorientierte Ansatz geht davon aus, dass es nicht notwendig ist, das Problem zu verstehen. Also so viel Rückwärtsorientierung, die absolut notwendig ist. Aber dann schau in die Gegenwart. Ganz wichtig, dann schau in die Gegenwart. Was passiert jetzt? Wo drauf kann ich jetzt zugreifen? Wie wird jetzt Realität gestaltet? Und was bedeutet das für die Zukunft? Also was heißt das für eine potenzielle Lösung? Und eine Lösung kann eben einerseits darin bestehen, dass ich Dinge weiterentwickle oder gar verändere. Ich differenziere da nochmal eine Weiterentwicklung. Ist jetzt nicht das, was originär mit diesem Change zusammengebracht wurde. Change war das Ablösen des Alten durch etwas Neues. Für mich ist eine Weiterentwicklung das ständige Fortführen einer Idee, indem ich sie eben immer wieder ergänze. Also das heißt die Fortsetzung der Vergangenheit über die Gegenwart hinein in die Zukunft. Deswegen hat man das ja inzwischen auch etwas anders ins Wording gebracht. Viele reden ja heute nicht mehr von Change, sondern eher von Transformation oder gar Evolution. Und der lösungsorientierte Ansatz berücksichtigt das eben auch, indem er den Bogen spannt, knüpft eine Vergangenheit an, legt den Fokus allerdings dann mehr auf die Gegenwart. Wie wird Realität, Wirklichkeit konstruiert? Und was machen wir daraus für die Lösung in der Zukunft? Und die Lösung kann auch darin bestehen, dass erst mal alles bleibt, wie es ist. Denn wir haben ja auch eine Timeline zu berücksichtigen, ist jetzt ein geeigneter Zeitpunkt für Veränderung.

Viele Klienten begegnen mir und sind, ich habe ja eben schon mal gesagt, so etwas wie veränderungsmüde oder so veränderungsüberfordert. Und die finden es ganz schön, wenn die erkennen, das muss jetzt im Moment gar nicht sein, sondern ich konsolidiere erstmal, ich bringe mal etwas zum Abschluss. Ich bin in Organisationen unterwegs gewesen, wo eine hohe Change-Betriebsamkeit greifbar war. Und als ich in den Gesprächen mit den Beschäftigten dort war, da hörte ich solche Stimmen, die sagten, naja, wir sind es ja hier gewohnt, dass eine Veränderung die andere jagt. Und wir haben es uns zu eigen gemacht, dass wir erst mal gar nichts machen. Also erst mal abwarten. In der Überzeugung, bevor die neuen Strukturen greifen, wird ja schon wieder die nächste Change durch den Wald getrieben. Also erst mal gar nichts machen und abwarten. Und vieles erledigt sich von allein. Und der lösungsorientierte Ansatz berücksichtigt das eben auch. Dass die Lösung da drin liegen kann, erst mal die Dinge zu lassen, wie sie sind. Oder auch löse dich vom Problem. Das brauchen wir gar nicht mehr, dann schaffen wir es ab.

Dierk

Ich fand es interessant, was ich gelernt habe. Vielleicht kann ich von dir heute nochmal was anderes lernen. Was ich mal gelernt habe, ist, dass ein Problem, das gut formuliert ist, schon die Hälfte der Lösung in sich hat. Da beschäftigt man sich ja mit dem Problem. Was sagst du dazu?

Horst

Ja, ich denke den Gedanken weiter. Viele meiner Klienten kommen ja und möchten dann gerne über ihr Problem reden. Das wirkt extrem entlastend und diesen Raum gebe ich auch mit dem Vorzeichen. Wie wollen Sie Ihre Zeit jetzt nutzen? Möchten Sie eine Stunde lang oder einen Tag lang über Ihr Problem mit mir sprechen? Oder ab welchem Zeitpunkt möchten Sie jetzt gern mit mir in die Ideenfindung eintauchen oder in die Lösungssuche eintauchen? Ich habe tatsächlich auch die Erfahrung gemacht, je besser es gelingt, das Thema zu definieren, desto schneller kommen die Leute auch auf kreative Ideen in Richtung Lösung. Probleme gibt es rein phänomenologisch ja gar nicht. Also ich habe noch nie im Wald draußen ein Problem rumlaufen sehen. Also wie so ein Hasen, den ich erschießen kann. Probleme sind ja Wirklichkeitskonstruktionen. Deswegen ist für mich viel interessanter, wie konstruiert sich ein Mensch oder ein System das, was sie als Problem wahrnehmen. Da ist die Formulierung ja viel vorsichtiger. Das ist nicht das Problem, sondern das, was sie als Problem wahrnehmen. Wie konstruieren die sich das? Und wenn ich das verstanden habe, dann kann ich einsteigen in die Dekonstruktion. Deswegen ist mein Sprachgebrauch da auch viel sensibler. Ich rede weniger oft von was ist ihr Problem, sondern was macht ihr im Moment noch zu schaffen. Das ist eine Art von Reframing, die das Ganze nicht irgendwie karikieren möchte. Ich habe absolute Wertschätzung vor dem Problemerleben anderer Leute, aber ich möchte es nicht zementieren. Und wenn die Leute ihr Thema benennen können und sagen, jetzt steht das hier am Flipchart schwarz auf weiß. Wenn ich jetzt dazu auf Abstand gehe und das mal von drei Metern Entfernung betrachte, jetzt werden mir die Zusammenhänge deutlich. Jetzt kommt mir gerade eine Idee, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Und das ist der Einstieg in den Problem Ausstieg. Damit wird Veränderung und Wandel möglich. Genau.

Dierk

Ich habe in meiner Coaching Ausbildung gelernt, ein Problem ist die Lösung, die auf dem Kopf steht.

Horst

Ich glaube, der Gedanke ist so ähnlich, wie der Gedanke, den ich habe. Wofür ist das Problem die Lösung? Oder wenn dein Problem die Lösung für ein übergeordnetes Problem wäre, was wäre dann das Ausgangsthema? Und welchen Anteil beinhaltet das, was du noch als Problem nennst, als Lösung? Wofür ist das gut? Wir kennen ja auch Beschreibungen dafür. Problemvorteile, sekundärer Krankheitsgewinn usw. Wofür ist es gut? Als Alternative zum Problembegriff spreche ich auch von Symptomen. Wofür gibt es die Symptomatik, worüber gibt uns die Symptomatik Auskunft? Wo hat die ihren Ursprung und weshalb wurde das überhaupt notwendig, dass du das heute so erlebst? Das ist im Prinzip so eine Art Kopfstandfrage. Von links auf rechts gedreht, von rechts auf links.

Dierk

Von oben nach unten wie auch immer, aber eben ansonsten nach vorne gucken. Gut, du hast vorhin so ein schönes Beispiel gebracht zum Thema Keep. Das war diese Führungsrille im Segeln. Jetzt habe ich überlegt, Mensch, wir sprechen ja manchmal von dem Keeper. Der Keeper ist im Fußball der Torwart. Hast du noch ein paar andere Beispiele oder so ein paar Metaphern, wie wir auch vielleicht im Sport so etwas haben?

Horst

Also ich bin jetzt nicht so besonders sportaffin, also zumindest nicht am Fernsehbildschirm. Ich war heute morgen schon joggen und ich gehe wandern und ich fahre viel Rad. Das liegt mir alles näher, als jetzt irgendwie mich hier groß als der Sportenthusiast oder Kenner aufzuspielen. Aber der Begriff des Keepers begegnet uns ja im sportlichen Kontext überall.

Ich bleibe jetzt mal beim Fußball. Da ist der Keeper glaube ich der, der im Tor steht. Aber ich glaube es gibt auch in anderen Sportarten Keeper. Also beim Handball mit Sicherheit ja auch und vielleicht so auch beim Basketball, keine Ahnung. Also der Keeper ist offensichtlich im Sport der, der dafür sorgt, dass keine Bälle ins Netz gehen.

Also einerseits fremde Bälle ins Netz gehen. Für mich bedeutet das, dass der Keeper dafür sorgt, dass keine fremden Eier ins Nest gelegt werden. Also Achtung, ist das unser Auftrag? Gehört das zu unserem Auftrag, dass wir jetzt hier eine Veränderung initiieren oder hat das irgendjemand von außen an uns herangetragen?

Wie andere Stakeholder, der Zeitgeist, weil es gerade en vogue ist und wir das mitmachen müssen. Also der Keeper sorgt auch dafür, wie so eine Art Firewall zu überprüfen, wo kommt das überhaupt her. Also keine fremden Eier ins Nest oder keine fremden Bälle ins Netz. Der sorgt aber auch dafür, dass man keine Eigentore schießt. Also der hält ja alle Bälle aus dem Netz fern. Und sorgt auch dafür, dass eben keine Eigentore geschossen werden, sondern nach dem, Leute, jetzt haben wir hausintern uns Probleme geschaffen, die hatten wir vorher überhaupt nicht. Da fällt mir ein Spruch ein, jetzt wo ich die Lösung kenne, hätte ich gern mein Problem zurück. Genau da greift der Keepmanager und sagt, wir müssen uns keine Probleme machen, wo vorher auch gar keine waren.

Aber eine andere Analogie ist es, jetzt mal weg vom Sport, auch unser Immunsystem lässt ja nicht alles in sich rein eindringen und sorgt dafür, dass es so eine Homöostase gibt. Also das sagt auch, ich muss nicht alles was von außen an mich herangetragen wird reinlassen. Insofern haben wir auch hier diese Symbolik des Gleichgewichts wieder. Ich habe so eine Art Verdauungssystem für Veränderungen mal in einem Vortrag erwähnt. Also alles, was überflüssig ist und nicht gebraucht wird, müssten wir irgendwie ausscheiden können. Wir brauchen also diese dynamische Balance zwischen bewahren und verändern.

Friedemann Schulz würde das mit Sicherheit in seinem inneren Team abbilden. Er würde sagen, wir brauchen im inneren Team dieses Kontinuum. Das geht von einem rigiden Bremser im Extremfall bis zu dem anderen Extrem des hysterischen Aktivisten. Wir brauchen weder das eine noch das andere. Ich brauche keinen rigiden Bremser und ich brauche keinen hysterischen Aktivisten. Aber ich brauche einen neugierigen Traditionalisten und einen wertschätzenden Progressiven.

Das sind, glaube ich, die beiden Pole, in denen wir uns bewegen. Im Staatsunternehmen haben wir auch einen Innen- und einen Außenminister, die sorgen für Sicherheit und Ordnung. Wo kämen wir wohl gesellschaftlich hin, wenn wir hier nur irgendwie die Ämter für Forschung und Entwicklung und Entwicklungshilfe und Migration und technischen Fortschritten und so weiter hin. Wir brauchen auch Innen- und Außenminister für innere und äußere Stabilität.

So sind Systeme angelegt. Wir brauchen diese Gegenkräfte, um überhaupt handelsfähig zu sein.

Dierk

Ja, und das finde ich sehr, sehr interessant, weil wir wollen ja nicht, du willst es nicht, ich will es auch nicht, und das soll auch das Gespräch rüberbringen. Wir wollen ja nicht, dass wir kein Change Management mehr machen, sondern wir wollen, dass das Change Management anders gestaltet wird. Ich glaube, du hast das in dem Artikel, in dem Beitrag ja so geschrieben. Wir sollten das Verändern verändern, also Veränderung anders gestalten. Das hast du jetzt schon mit vielen Beispielen erläutert. Wie kann ein Unternehmen erkennen, ob es sozusagen mehr Change braucht oder mehr Keep-Management braucht? Von welchem würde es mehr profitieren?

Horst

Also ich bin ein großer Freund davon, mit den Menschen zu sprechen, die von solchen Change-Prozessen, Change-Phasen am unmittelbarsten betroffen sind. Deswegen gehe ich halt gerne erstmal durch die Unternehmen und rede mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über alle Hierarchien hinweg und da erfahre ich ganz häufig, unglaublich wertvolle Aussagen, die können mal in die eine oder die andere Richtung gehen. Manchmal erlebe ich das, was ich eben schon mal in einer Randnotiz erwähnt habe. Wir sind so Change-müde. Hier wird gechanged, gechanged, gechanged, gechanged. Und wir kommen irgendwie so gar nicht mehr nach. Wir haben das Alte noch nicht wirklich implementiert. Da kommt schon wieder der nächste Change-Prozess und wir bräuchten jetzt mal so eine Phase des Ankommens, des Konsolidierens. Das nehme ich extrem ernst, weil ich glaube, da steckt viel individuelle Wahrheit drin. Leute dafür zu begeistern, wieder auf einen fahrenden Zug aufzuspringen oder wenigstens in den Bahnhof zu gehen, um sich in den Zug zu setzen, gelingt viel, viel leichter, wenn sie von einer sicheren Basis kommen. Ich habe schon Organisationen erlebt und mit Menschen gesprochen, die sagten, wir haben hier einen Veränderungsstau, es passiert nichts. Wir beobachten, dass Strukturen korrigiert, verbessert, Prozesse optimiert werden müssten, dass Hierarchien abgeflacht werden sollten. By the way, viele Mitarbeitende sagen nicht, wir brauchen keine Führung mehr, sondern die sagen auch, wir brauchen eine andere Führung, wir brauchen einen Change in der Führung.

Da gibt es häufig Veränderungsbedarfe und das sind wertvolle Hinweise, die Rückschlüsse darauf zulassen, was ist notwendig in diesem System. Dann liegt der Impuls mehr oder weniger Veränderung sicherlich auch in der Persönlichkeit der Verantwortlichen begründet, also eben auch der Führungskräfte und nicht zuletzt dann auch der Unternehmensleitung begründet. Wie offen ist die Führung überhaupt für Veränderung?

Da können so kleine Persönlichkeitseinschätzungen wirklich gute Hilfe leisten. Denn ich erinnere zum Beispiel mal an das wertvolle Modell der Big Five. Wenn jetzt jemand sehr, sehr offen ist für Veränderungen, also eine Affinität hat für Veränderungen, der wird vielleicht mit viel mehr Lust und Laune und Neugier gucken, was kann ich denn jetzt hier in Frage stellen und verändern.

Und wenn einer von seiner Persönlichkeitsakzentuierung mehr im Bewahren verortet ist, dann wird er vielleicht eher diese Keepgedanken für sich schmeichelhaft finden. Aber in diesen Wertekoordinatensystemen ist weder Wandel noch Bewahren besser oder schlechter als das andere, sondern es sind erst mal zwei Grundtendenzen. Und die gilt es eben zu berücksichtigen.

Natürlich spielt auch die Frage nach Ressourcen eine ganz wesentliche Rolle. Also machen wir zu viel oder zu wenig Veränderungen, findet immer auch vor dem Hintergrund eine Beantwortung. Haben wir überhaupt im Moment ausreichend Mittel, um auf eine Veränderung zurückzugreifen, sind die Ressourcen vielleicht zurzeit anderweitig gebunden, ist jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Veränderung oder für eine weitere Veränderung. Mein Eindruck ist, dass es schon oft zumindest so eine Art von Hyperaktivität gibt, also in Richtung wir brauchen noch mehr Change Prozesse, wir brauchen noch mehr Wandel.

Allerdings dann eben zeitlich unpassend, manchmal aus meiner Perspektive unnötig, vor allen Dingen allerdings eben schlecht begleitet, weil einseitig begleitet. Hier wäre mehr Betonung eben dieser Keepkräfte sinnvoll und mehr Achtsamkeit im Sinne dessen, was gut läuft.

Dierk

Ja, du hast vorhin so schön gesagt, dass Changes oder Veränderungen häufig vielleicht schlecht kommuniziert werden. Ich würde noch einen Schritt weitergehen oder ergänzen, dass vielleicht auch dann teilweise gar nicht gewartet wird, ob das funktioniert. Du hast es auch gesagt, du erlebst es, das erlebe ich ja auch, eine Veränderung jagt die nächste Veränderung. Ein Change jagt den nächsten Change.

Das heißt, ein Keep Manager könnte es ja auch als seine Aufgabe sehen, wenn ein Change durchgeführt wurde, dafür zu sorgen, dass dieser Change erst mal ankommt. Also, dass man die Veränderung beibehält.

Anfangsphase beim Change sagt, was ist wichtig für uns, was sollten wir beibehalten, sondern dann, wenn es zur Veränderung gekommen ist, auch dafür sorgen, dass diese Veränderung beibehalten wird. Also, dass man eben auch erst mal guckt, hat das geholfen?

Horst

Absolut, genau. Das ist es, was ich vielleicht eben mit dem Begriff der Konsolidierung gemeint habe. Jetzt auch mal eine Phase des Ankommens. Auch hier nochmal eine Analogie. Wir hatten ja eben das Sportbild schon mal. Beim Muskel habe ich einen Agonisten und einen Antagonisten. Wir brauchen ja in Systemen, also auch sowohl in Körpersystemen, also in biologischen Systemen, als auch im organisationalen Kontext, Phasen des Ankommens. Also jetzt mal Wirkung entfalten lassen. Und dann mit zeitlichem Abstand überprüfen, sind die angestoßenen Maßnahmen wirklich hilfreich und zielführend. Und genau diesen Raum gibt der Keep Manager.

Der ermöglicht auch jetzt mal eine Phase des Innnehaltens, des Ruhebewahrens und schaut hin, okay, was hat gewirkt? Wir kennen das ja, wenn wir die ganze Zeit nur in Aktivität sind, dann übersäuern wir irgendwann und wenn wir das dann in die Situation übertragen, dann versauern wir irgendwann.

Und da braucht es eben also diese regulierende, ausgleichende, komplementäre Kraft im Rahmen des Keep-Managements, was dafür sorgt, jetzt können wir auch mal schauen, welche Früchte wir ernten können aus diesem Prozess.

Dierk

Ja, einen weiteren Vorteil sehe ich auch beim Keep-Management oder beim Keep-Manager, dass er eben rausarbeitet und das auch fundieren muss, weil er diese Rolle hat: „Was hat denn geholfen?“ Also was hilft uns? Es ist nicht ein blindes Ablehnen von Veränderung, sondern wenn jemand die Rolle hat und sagt, du bist jetzt dafür verantwortlich, dass wir uns unsere Werte bewahren, dass wir das, was funktioniert, dass wir das bewahren, dann habe ich jemand, der darf dann etwas sagen, sonst habe ich ja auch manchmal Menschen, die sich nicht trauen, etwas zu sagen, die das aushalten, was du ja wohl auch als Beispiel hattest, aber hier habe ich jemanden, der die Aufgabe hat sozusagen konstruktiv darauf hinzuweisen, was denn funktioniert, was man beibehalten sollte. Also auch da sehe ich einen Vorteil.

Und wenn ich das jetzt mal weiter denke, dann sag ich mal für mich, langfristig hat ein Unternehmen Vorteile, die sowohl Change als auch Keep Management machen. Denn wir kennen das ja, dass die Menschen, die etwas bewahren wollen, als die ängstlichen Bremser, als die ewig Gestrigen bezeichnet werden. Und jetzt frage ich mal so ein bisschen suggestiv, sind konservative Kräfte Klammer auf Keep Manager Klammer zu tatsächlich die ängstlichen Bremser.

Horst

Also aus meiner Perspektive nicht, weil Dauerhaftigkeit und Traditionen und Konservatives ja nicht gleichzusetzen ist mit Leugnung notwendiger Veränderungen und mit Ausbremsen. Das sind für mich zwei Paar Schuhe. Aber leider haben wir diese dichotomen Diskussionen ja gerade auch im gesellschaftlichen Spektrum.

Links gegen rechts, Traditionalisten gegen die Progressiven und Schwarz gegen Rot und Grün gegen Braun und Weiß, also diese ganzen dichotomen Denkkategorien, das ist richtig, das ist falsch und die daraus resultierenden Vorurteile, die damit verbunden sind, bringen uns, wir erleben es ja gerade in vielen Fällen, in keinster Weise weiter.

Ich glaube, es ist sehr viel hilfreicher, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Ich habe schon zwei, drei Mal gesagt, dass das für mich eher einen regulierenden Effekt hat. Vielleicht schiebe ich dann mal noch so einen Gedanken hinterher, was so ein bisschen die Spezies Mensch überhaupt ausmacht. Also in Abgrenzung zur Natur ist unsere Lebenszeit ja begrenzt. Also wir Menschen sind endlich. Und die Natur kennt ja keine Change-Prozesse. Die Natur kennt ja nur Entwicklung oder Evolution. Die Natur sagt, ich habe Zeit. Und wenn sich das Klima wandelt, vielleicht menschengemacht, vielleicht nicht menschengemacht, ich will mir dazu keine Meinung erlauben, dann ändert sich das über zehn Jahre, über viele hundert Jahre, über tausend Jahre. Die Umwelt ändert sich, aber die Natur hat in der Abgrenzung zu Menschen sehr viel Zeit.

Und der Mensch ist eben endlich angelegt. Und daraus kommt auch so eine Veränderungsnotwendigkeit, dass wir auf die Uhr oder auf den Kalender gucken und den Eindruck haben, ich muss jetzt etwas verändern. Ich kann das nicht in alle Ewigkeit vor mir her schieben, sondern ich muss jetzt etwas verändern. Und da kommt noch eine zweite Notwendigkeit hinzu, die die Natur in Abgrenzung zu Menschen eben nicht hat.

Wir Menschen bewerten permanent. Das macht die Natur nicht. Wir Menschen sagen, das ist gut, das ist richtig, das ist hilfreich, das ist nicht hilfreich. Und dadurch resultiert Veränderungsbedarf. Und vor diesem ganzen Hintergrund steigt natürlich unglaublich die Komplexität. Wir haben permanent abzuwägen, was ist jetzt hilfreich, was habe ich zu priorisieren, was ist als nächstes dran. Wir Menschen schaffen uns diese Veränderungsdynamik.

Und um mit dieser steigenden Komplexität umgehen zu können, braucht es eben auch wieder eine Kraft, die sagt, lass uns das mal vereinfachen, lass uns das mal runterbrechen. Nicht an zu vielen Stellen gleichzeitig, sondern wir schauen jetzt einfach mal, was ist zurzeit hilfreich. Deine Ressourcen sind endlich, lieber Mensch, und guck mal, was geht im Moment mit den zur Verfügung stehenden Mitteln.

Und ich glaube, das ist eine ganz wesentliche Qualität des Keep-Managers, dass der auch einen Beitrag dazu leistet, mit dieser zunehmenden Komplexität souverän umgehen zu können. Auch hier sie nicht in Frage zu stellen oder klar zu leugnen, sondern zu schauen, wie können wir der zunehmenden Komplexität eine Verhaltensweise und eine Kraft entgegenstellen, dass wir damit leben können, dass wir sie gestalten können. Denn am Ende geht es ja immer darum, sind wir wirksam? Können wir das gestalten? Habe ich die innere Wurzel, die innere Sicherheit, um den äußeren Bedingungen irgendwie souverän begegnen zu können? Und das hat sich der Keep-Manager quasi in die Agenda geschrieben, Menschen stark zu machen, ihnen innere Sicherheit zu geben, dass sie gut durchkommen durch das, was von außen auf sie einwirkt.

Dierk

Sehr schön. Das waren jetzt schon ganz viele Aspekte, die wir besprochen haben. Die würde ich alle sozusagen zusammenfassen unter dem Stichwort Keep und Change. Die Kombination macht es. Also wir brauchen Keep, wir brauchen Change.

Wir brauchen Menschen, die dafür da sind, etwas zu bewahren, und die die etwas verändern wollen. Das können manchmal vielleicht Aufgaben sein, die in einer Person liegen. Du hast ja auch von diesen beiden Polen gesprochen, die wir im Extrem ja nicht brauchen. Also insofern eine Ausgewogenheit auch für Führungskräfte. Du hast ja eben gesagt, dass man das Ganze ein bisschen gelassener angeht, weil Führungskräfte müssen natürlich verändern. Dafür sind sie Führungskräfte. Das wird von ihnen erwartet. Aber sie müssen insofern auch bewahren, weil Dinge ja bis jetzt nicht nur schlecht waren. Auch bei den Mitarbeitenden brauche ich Menschen, die auf das schauen, was war bis jetzt gut, warum haben wir bis jetzt überlebt überhaupt. Also man könnte sich ja manchmal fragen, warum ein Unternehmen überhaupt existiert, wenn alles so schlecht läuft. Aber trotzdem brauche ich Menschen, die auch aus der operativen Arbeit daraus Dinge verändern.

Horst

Lass mich da gerade noch einen Gedanken hinterher schieben. Du hast gerade Führung und Führungskräfte noch mal erwähnt, dass es also auch in diesen besonderen Rollen der Führung eine Veränderung braucht. Die Führung von heute ist eine andere Führung, als wir sie vor 10, 15, 20 Jahren hatten. Früher hatten wir es ja häufig auch mit Managern zu tun. Und der Begriff des Managements stammt ja eher noch so aus dem Taylorismus heraus, wo ich Prozesse gemanagt habe und auch Menschen gemanagt habe, wo ganz klar Aufträge platziert wurden, Ziele definiert wurden und dann auch kontrolliert wurde. Und der Begriff des Managements suggeriert ja immer so, dass etwas kontrollierbar ist. Ich manage das jetzt mal. Ich manage jetzt so diesen Prozess.

Deswegen bin ich gar nicht so glücklich mit dem Begriff des Keep-Managers, analog auch Change-Manager, weil der suggeriert mir einfach, die managen das. Wir wissen es ja längst, dass wir den größten Teil unseres Lebens alles andere als im Griff haben. Wir sind dazu aufgefordert, permanent uns neu auszurichten und zu gucken, was kommt da jetzt auf mich zu. Ich glaube, die unkalkulierbare Größe, ist der Mensch. Insofern bin ich mit dem Begriff des Managers an dieser Stelle eher zweigeteilt. Ich muss mir da mal Gedanken drüber machen. Eigentlich wäre die Kurzform des Keepers völlig ausreichend. Wir haben den Changer und wir haben den Keeper und das wird der Sache völlig genug tun. Keep it simple, könnte ich vielleicht zum Abschluss sagen. Keep it simple, halt es einfach, kurz und einfach. Das ist vielleicht sogar der zentrale Botschaft des Keep-Managers. Keep it simple, da hätten wir auch wieder sehr schön den Bogen zu Steve The Chaser, lösungsorientiert, Dinge vereinfachen anstatt sie zu banalisieren.

Dierk

Und wenn man dann das Simple noch in Klammern setzt, dann würde man sagen, keep it. Also das wäre dann noch weiter gedacht.

Horst

Also du siehst auch, auch der Gedanke des Keep ist natürlich ein fortwährender Prozess, der bleibt ja auch nicht stehen, sondern ich möchte den auch zukünftig weiter denken, was das bedeutet.

Dierk

Ja, ich habe eben noch gedacht, als du den Begriff Manager gesprochen hast. Ich bin ein Freund vom Deutschen. Also ich bin auch in der IT tätig, da haben wir naselang englische Begriffe. Das finde ich auch okay für die Fachlichkeit, weil wir an vielen Stellen fachliches Wissen eben aus dem Englischen oder aus der Welt aufnehmen. Und das kommt in Englisch, das ist wirklich okay, hat sich auch etabliert.

Das Problem, das ich bei dem Begriff Manager sehe, ist, dass dieser Begriff eigentlich nicht korrekt übersetzt werden kann, weil für mich heißt Management, ich plane etwas, ich steuere etwas, ich reagiere. Also Management an sich, finde ich, ist, wenn so in meinem Verständnis, ist es ein wunderbarer Begriff, nur problematisch ist, ich kann ihn im Deutschen nicht einfach übersetzen. Und wenn ich jetzt an Folien denke oder an Übungsaufgaben und wenn ich jedes Mal sagen müsste, statt Manager, den Planer, Steuerer, Anpasser und Reagierer, das würde nicht funktionieren. Also insofern ist es vielleicht auch gut, wirklich diesen Begriff Manager wegzulassen. Also wir nehmen mal mit der Keeper und der Changer. Das könnte ja schon fast ein Schlusswort sein.

Horst

Yes! Schön, ja!

Dierk

Ich überlasse dir das jetzt, ob du das als Schusswort so stehen lässt oder ob du noch mal ein eigenes Schusswort bringst, weil zum Ende meiner Podcast Episoden gibt es immer noch mal die Frage an meine Gäste: Gibt es noch irgendetwas, was du mitgeben möchtest, was du noch nicht gesagt hast, was du zusammenfassen möchtest? Also Zeit für dein Schusswort.

Horst

Also das ist tatsächlich das Wesentliche. Ich möchte nur noch mal das als Abschlussplädoyer zusammenfassen. Ja, geben wir mehr, als ich das in der Vergangenheit wahrgenommen habe, dem Keeper auch das Recht, seine Stimme zu erheben und auch zu betonen, wie wertvoll Werte sind und dass wir die nicht vorschnell über Bord werfen sollten. Denn nicht nur Change, nicht nur Veränderung ist ein Wert, sondern auch Tradition, Rituale, gute Gewohnheiten sind ein Wert, die wir nicht vernachlässigen sollten. Und am Ende des Tages geht es nicht um Strukturen, um Organisationen, sondern es geht immer um den Menschen. Und dahinter verbirgt sich ja eine wertschätzende, respektvolle Haltung auch Menschen gegenüber, die die Geschichte mitgeschrieben haben und die ihre eigene Geschichte auch mitnehmen wollen, über die Gegenwart hinein in die Zukunft. Denn ansonsten ginge eben ein Stück Identität verloren und wir sollten uns mehr als das, was ich wahrgenommen habe, mit der Identität der Menschen und der Organisation auseinandersetzen. Und dann ist Keep und Change überhaupt kein Widerspruch mehr, sondern eine schöne, komplementäre Zusammenarbeit, hätte beinahe gesagt eine Symbiose, aber soll es gar nicht werden, sondern das sollen wirklich zwei Gegenspieler und Mitspieler sein, die es uns ermöglichen, ausgewogener auf Weiterentwicklung zu schauen. Dankeschön, dass ich dein Gesprächspartner sein durfte, lieber Dierk.

Dierk

Sehr schön. Vielen Dank Horst für deine Zeit. Das war jetzt die 36. Episode. Ich freue mich auf deine Fragen, auf dein Feedback von allen Zuhörenden. Ihr könnt mir Kommentare unter die Episode schreiben. Den Link gibt es in den Show Notes. Ihr könnt mir auch Kommentare direkt schreiben. Ihr könnt mir Vorschläge machen. Vielleicht habt ihr auch Ideen zu Themen, die ich ansprechen soll, die ich mal besprechen soll. Insofern ganz wie der Titel verspricht. Kleine Nadelstiche für ein lebendiges und erfolgreiches Business. Vielen Dank.

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