Training from the Back of the Room

[Blogbeitrag vom 19. Juni 2016] Seit Jahren bin ich als Trainer aktiv und nehme gern neue Themen in mein Trainingsangebot auf. Ich gestalte eigene Seminare und biete Trainings zur Vorbereitung auf Prüfungen der APMG International an und bin dort als offizieller Trainer zugelassen. Beim Blick auf die Bewertungen meiner Feedbackbögen und der vergleichsweise niedrigen Durchfallquote könnte man meinen, dass ich mit meiner Arbeit als Trainer zufrieden sein kann. Und doch verspürte ich seit geraumer Zeit den Wunsch, meine Qualitäten als Trainer zu verbessern und noch etwas „draufzusetzen“.

Bei der Analyse meiner Trainings stellte ich fest, dass zwei Arten dominieren:

  1. Die offiziellen Trainings zur „Druckbetankung gemäß Syllabus oder Lehrplänen„. Das Ziel dieser Trainings ist es, „Stoff“ durchzunehmen und die Teilnehmenden optimal auf eine Prüfung vorzubereiten. Ich habe dabei manchmal das Gefühl, dass es eher darum geht, den Teilnehmern das Gefühl zu vermitteln, was sie noch alles zu lernen haben, was für ein toller Experte da vorne steht (so viele Folien und eine umfangreiche Dokumentation muss man erstmal erstellen) und wie komplex das Thema an sich ist. Für diese Zielgruppe habe ich viele Informationen zum Nachlesen in den Schulungsunterlagen vermerkt, so dass ich immer wieder gern darauf verweisen kann: „Das können Sie ja noch mal nachlesen!“. Leider verlangen immer noch viele Unternehmen (und Teilnehmer?) diese Art von Training.
  2. Eher freie Trainings, die nicht auf eine Prüfung ausgerichtet sind. Dabei kann ich als Trainer wirklich versuchen, Inhalte zu transportieren und das mit Übungen und Spielen unterstützen. Wenn dann der Trainer noch gut drauf ist, bietet diese Schulung tolles Entertainment. Die Übungen werden mit Freude durchgeführt und sorgen für eine tolle und spaßige Stimmung im Training. Sehr schwierig ist es, mit diesen Übungen einen wirklich durchgängig „roten Faden“ in die Trainings zu bekommen und nicht den Eindruck zu erwecken, die praktischen Übungen lediglich zu Unterhaltungszwecken oder als Lückenfüller anzubieten.

Was mir darüberhinaus noch fehlte war ein wirklich schlüssiges Konzept um nachhaltige Erfolge auf der Basis von wirklich guten Trainings zu erzielen. Dieses Konzept sollte die Zeit für das Lernen und das gemeinschaftliche Üben in den Vordergrund stellen anstatt den Dozenten oder die Folien. Die Teilnehmer sollen das Seminar mit der Freude auf die sofortige konkrete Anwendung in der Praxis verlassen, natürlich schon mit vielen Ideen aus dem Training zur Umsetzung. Und sie sollen wirklich etwas „Inhaltliches“ mitgenommen haben.

Der freundliche Hinweis eines Kunden, der sich anstelle meines Trainingsangebotes zu Scrum für einen Mitbewerber mit „tollem andersartigen Konzept“ entschieden hatte führte mich zu „Training from the BACK of the Room“. Und nach zwei Tagen Training bei Rolf F. Katzenberger kann ich sagen: DAS ist mein Konzept für die Erweiterung meines Trainingsangebotes!

Die 4Cs

Training from the BACK of the Room wurde von Sharon Bowman in den USA entwickelt und bietet einen pragmatischen Weg, eigene Trainings so zu gestalten und durchzuführen, so dass alle Teilnehmer so effektiv wie möglich lernen können. Sharon Bowman hat die eigene jahrzehntelange Erfahrung in der Bildungsarbeit als Lehrerin und Trainerin mit einer kontinuierlichen Extraktion der Forschungsliteratur zu Neurowissenschaften zusammengeführt. Ergebnis ist die Struktur der 4 Cs:

  • Connect (C1 – Verbindungen)
  • Concepts (C2 – Konzepte)
  • Concrete Practice (C3 – Konkretes Üben)
  • Conclusions (C4 – Schlüsse ziehen)

C1 – Verbindungen

Gute Trainings starten damit, Verbindungen aufzubauen. Zunächst zwischen den Teilnehmern, aber auch zum Kursthema, zum Lernziel und zu den eigenen Zielen. Die Vorfreude der Teilnehmer, ihre gespannte Erwartung an die kommenden Tage sollten nicht mit Belanglosigkeiten wie der Vorstellung des Trainers oder der Ansage der Pausenzeiten verplempert werden. Lernende stellen auf verschiedenen Ebenen Verbindungen her: Mit Ihrem (echten oder vermeintlichen) Vorwissen; mit dem, was sie lernen wollen; untereinander – oder mit dem Trainer.

Wie wird das in Training from the BACK of the Room umgesetzt? Es gibt viele Möglichkeiten, mit Aktivitäten wie Warm-Ups, Fast pass oder Start-ups zu starten. Zu Beginn steht dieser Punkt im Fokus, später wird durch die vorbereiteten Aktivitäten dieser Aspekt inkludiert.

C2 – Konzepte

Gute Trainings unterstützen das eigene Lernen der Teilnehmer, in dem sie nur das allernötigste an Inhalten vorgeben. Die Teilnehmer nehmen das Lernen selbst in die Hand und befassen sich aktiv mit den Lerninhalten. Lernende nehmen neue Informationen auf und verarbeiten sie: Hören, Sehen, Diskutieren, Notieren, Reflektieren, Gedankenspiele und vor allem die Teilnahme an kurzen, schnellen Wiederholungsübungen.

Wie wird das in Training from the BACK of the Room umgesetzt? Es wird darauf Wert gelegt, dass die Teilnehmer das Wissen selbst erarbeiten und anwenden. Sie sollen sich vom reinen Konsumenten zu aktiv Lernenden verwandeln. Dabei können Concept maps, Interactive lectures oder Jigsaw activities zur Anwendung kommen. Der Trainer erzählt und erklärt nur das Nötigste. Die Teilnehmer können erleben und probieren.

C3 – Konkretes Üben

Gute Trainings bringen die Teilnehmer dazu, sich das Wissen selbst anzueignen, sei es in einer Zusammenarbeit mit Anderen, sei es nach kurzem Studium von Unterlagen als „Dozent“ für die Seminarkollegen. Lernende üben mit Hilfe der neuen Informationen altiv neue Fertigkeiten und Kenntnisse. Sie bringen das anderen bei oder gestalten aktiv die Wiederholungsübungen.

Wie wird das in Training from the BACK of the Room umgesetzt? Bei diesem Ansatz ist es wichtig, die Teilnehmer immer wieder zu animieren, sich selbst aktiv einzubringen. Der Trainer ist kein Motivationsredner, wenn die Gedanken einmal abschweifen. Mögliche Übungen sind Teach-backs, Skill-based activities oder Learner-created games. Dieser Teil im Training umfaßt den größten Teil.

C4 – Schlüsse ziehen

Gute Trainings enden nicht mit betretenem Schweigen nach der Frage „Gibt es noch Fragen?“. Sie enden mit motivierten Teilnehmern, die selbst methodisch ermitteln und bewerten, was sie im Training erlebt haben sowie die eigenen sinnvollen Zusammenfassungen erstellen und Pläne für die Zeit nach dem Seminar entwickeln. Lernende fassen zusammen, was sie gelernt habe. Sie bewerten es, feiern ihren Lernerfolg und entwickeln Pläne, wie sie es nach der Veranstaltung praktisch nutzen werden.

Wie wird das in Training from the BACK of the Room umgesetzt? Ganz einfach: Die Teilnehmer erarbeiten sich Folgeaktivitäten schon im Training und nehmen somit den Geist und die Inhalte des Trainings mit. Wichtig ist, dass der Lernerfolg transparent gemacht wird und von den Teilnehmern wahrhaftig erlebt und gefeiert wird.

Sechs Trümpfe aus der Neurowissenschaft für nachhaltiges Lernen

Wer kennt sie nicht: Den Kreuz Buben im Skat oder die Herz Zehn im Doppelkopf. Die obersten Trümpfe, die alle anderen Karten stechen und oftmals wichtige Voraussetzung für einen Sieg sind. Mit diesem Bild können wir bei Training from the BACK of the Room ebenfalls Trümpfe benennen, die für ein gutes Seminar genutzt werden können. Gut ist ein Training dann, wenn die Teilnehmer sich an die Lerninhalte erinnern und in der eigenen Praxis nutzen können. Sharon Bowman hat 6 Trümpfe zusammengefasst, die ich hier kurz darstellen möchte.

Bewegung schlägt Stillsitzen

Neurowissenschaftliche Studien zeigen: „Körperliche Aktivität bringt das Gehirn auf Trab.“ [John Medina, Brain Rules 2008] Bewegung jeder Art bringt mehr Sauerstoff ins Gehirn und verbessert damit die Denkleistung. Umgekehrt macht längeres Stillsitzen das Denken und Lernen schwieriger, weil der Sauerstoffpegel im Körper abfällt.

Was bedeutet das für Trainings from the BACK of the Room? In diesen Trainings wird durchgängig darauf geachtet, dass die Teilnehmer nicht nur untägig sitzen. Aufstehen, sich im Raum bewegen und themenbezogene Übungen mit der Bewegung zu verbinden ist das Ziel. Im Sitzen selbst können Übungen wie Strecken und Recken eingebaut werden. Auf jeden Fall müssen sich Lernende viel öfter bewegen, als bei bei „traditionellen“ Lehrveranstaltungen.

Mitreden schlägt Anhören

„Lernen ist sozial. Wir lernen von, mit Hilfe von und zusammen mit anderen Menschen.“ [Jay Cross, Informal Learning 2007] Wenn Lernende über das diskutieren, was sie gehört haben, dann verarbeiten sie diese Information dreimal: Zuerst beim Hören, dann beim Durchdenken und erneut beim Ausdrücken in eigenen Worten. „Der beste Weg um etwas zu lernen ist, es jemand anderem beizubringen.“ [Patricia Wolfe, Brain Matters 2001]

Was bedeutet das für Trainings from the BACK of the Room? Wir achten insbesondere darauf, Diskussionen in variablen Gruppen zu fördern und zu initieren. Kleine Einheiten, die nicht lange dauern müssen, werden dazu immer wieder eingeschoben. Beispielsweise kann eine Übung sein, mindestens zwei Personen drei Fakten zum soeben kennengelernten Thema zu erzählen oder zwei Minuten lang über die Konsequenzen zu diskutieren.

Bild schlägt Wort

„Die Fähigkeit zur Langzeiterinnerung an Bilder scheint fast unbegrenzt.“ [Patricia Wolfe, Brain Matters 2001] Einfache Fotos, Geschichten und Metaphern können die ganze Lernlandschaft verändern. Der Verstand verbindet diese Teile zu einem nahtlosen Ganzen.

Was bedeutet das für Trainings from the BACK of the Room? Zunächst bedeutet das mehr Arbeit für den Trainer in der Vorbereitung. Er muss wirklich passende und aussagekräftige Bilder finden. In der Konsequenz können dann auch die Teilnehmer mit der Suche nach „ihren“ Bildern einbezogen werden, indem sie Mind Maps, Concept Maps oder andere Techniken nutzen. Sie visualieren das Wichtigste mittels Zeichnungen, Diagrammen oder Assoziationen.

Notieren schlägt Mitlesen

„Sich Notizen zu machen ist eine wertvolle Art der Informationsverarbeitung und erhöht bekanntermaßen die Wahrscheinlichkeit, etwas zu verstehen und sich daran zu erinnern.“ [Jay Cross, Informal Learning 2007] Zum Schreiben benötigen wir das ganze Gehirn und sind multisensorisch tätig (kinästhetisch, visuell-räumlich und taktil). Lernende verarbeiten eine Information ein zweites Mal, wenn sie sich nach dem Anhören dazu Notizen machen. Darüberhinaus merken sich die meisten Menschen das länger, was sie selbst notiert haben im Verglaich dazu, was sie (nur) gehört oder gelesen haben.

Was bedeutet das für Trainings from the BACK of the Room? Die Trainingsplanung und -gestaltung muss ausreichend Zeit für die persönlichen Notizen bieten. Durch aktive Aufforderungen mittels verschiedener Techniken können alle Teilnehmer zum Notieren animiert werden.

Kürzer schlägt Länger

„Will man das Langzeitgedächtnis zuverlässiger machen, darf man neue Informationen nur schrittweise zufügen und muss sie in regelmäßigen Abständen wiederholen.“ [John Medina, Brain Rules 2008] Sehr anschaulich kann man das am Beispiel festmachen, wie sich viele Menschen Telefonnummern, Kontonummern oder ähnliche Zahlen merken: Es werden keine durchgängigen Ziffernfolgen gelernt, sondern individuelle Gruppierungen gebildet.

Was bedeutet das für Trainings from the BACK of the Room? Die Seminarplanung erfolgt in einem festeren Zeitraster, das nicht 60 oder gar 90 Minuten bedeutet, sondern in kleine Blöcke von 10-20 Minuten unterteilt. Diese wiederum können von kleinen Wiederholungsübungen gefolgt werden. Mein Schild:“Noch 2 Minuten!“ habe ich für die Einhaltung der Zeitplanung schon gedruckt.

Anders schlägt Einerlei

„Jeder Reiz aus unserer unmittelbaren Umgebung, der entweder neu ist oder dessen emotionale Intensität ausreichend stark ist bekommt sofort unsere Aufmerksamkeit.“ [Eric Jensen, Brain-based learning 2000] Das menschliche Gehirn ist darauf getrimmt, Veränderungen in der Lernumgebung wahrzunehmen und Sinneseindrücke zu ignorieren, die vorhersagbar werden oder identisch bleiben. Letzten Endes ignoriert das Gehirn alles, was Routine ist und langweilig ist.

Was bedeutet das für Trainings from the BACK of the Room? Als Trainer muss man in seiner Vorbereitung seine Methoden und Übungen ständig variieren. Im Verlaufe des Trainings ist ebenfalls durch den Trainer an vielen Stellen für Abwechslung zu sorgen (wenige Folien, Geschichten statt Fakten, visuelle Stimulation in der Lernumgebung). Die Teilnehmer sollten ebenso animiert werden, in „Abwechslung“ zu denken und zu handeln.

Und was bedeutet nun „from the BACK of the Room“ für mich als Trainer?

Nach diesem Konzept tritt der Trainer während des Trainings in den Hintergrund. Seine Arbeit liegt in der Vorbereitung (Sharon Bowman hat tolle Bücher dazu geschrieben) und optimalen Gestaltung des Trainings. Währenddessen wandelt er sich eher zum Coach und begleitet die Gruppe. Durch Beachtung der oben erläuterten Trümpfe sorgt er für nachhaltiges Lernen.

Ich werde meine Trainings nach und nach um ein Angebot basierend auf diesem Konzept ergänzen. Zunächst springen Themen wie Scrum oder Kanban ins Auge, so dass neben „Scrum Foundation“ demnächst auch „Scrum from the BACK of the Room“ in meinem Seminarportfolio verfügbar ist. Aber auch das von manchen als „trockene Materie“ eingeschätzte IT-Service-Management ist aus meiner Sicht sehr schön vermittelbar („ITSM from the BACK of the Room“). Wichtig ist, dass die beauftragenden Unternehmen mehr Wert auf nachhaltiges Lernen legen wollen anstatt einer Erlangung von Zertifikaten den Vorrang zu geben.

Daneben können unternehmensindividuelle Seminare viel besser und effektiver auf die Anforderungen zugeschnitten werden. Wenn kein Lehrplan oder Syllabus den Ablauf vorgibt, sondern nur Ziele und grobe Inhaltswünsche vorhanden sind, kann sich das Konzept der 4Cs voll entfalten.

Logo Dierk Söllner