Veränderung absichern mit den systemischen Gesetzen

Veränderung absichern mit den systemischen Gesetzen

Jörn Ehrlich über systemische Gesetzmäßigkeiten

Die systemischen Gesetzmäßigkeiten werden meistens dann erst wahrgenommen, wenn sie nicht beachtet werden.

Jörn Ehrlich über die Sprache der Systemik

Wir Menschen werden mit zwei Sprachen groß: unserer Muttersprache und der Sprache der Systemik, die unbewusst wirkt.

Jörn Ehrlich über das Anerkennen des Ist

Das „Anerkennen, was ist“ ist der erste Schritt zur Lösung von Konflikten und zur Verbesserung der Kommunikation.

Jörn Ehrlich über drei wichtige systemische Gesetzmäßigkeiten

Das Recht auf Zugehörigkeit, Anerkennung und Wertschätzung sind grundlegende Prinzipien für jedes erfolgreiche Team. […] Wenn wir diese drei Aspekte berücksichtigen, dann haben wir schon mal eine Menge verstanden.

Jörn Ehrlich über Vorteile der systemischen Gesetzmäßigkeiten

Systemische Gesetzmäßigkeiten sind wie Wahrnehmungsfilter, die helfen, soziale Ordnung zu schaffen.

Zusammenfassung

In dieser Episode von Business Akupunktur tauchen wir mit dem erfahrenen Coach Jörn Ehrlich in die Welt der systemischen Gesetze ein. Jörn, mit seiner 30-jährigen Expertise, erklärt uns, wie diese Gesetzmäßigkeiten unser Zusammenleben und -arbeiten beeinflussen und warum sie für erfolgreiche Veränderungsprozesse in Unternehmen so entscheidend sind.
Wir entdecken, dass diese Gesetze auf jahrelangen Erfahrungen basieren und uns helfen, soziale Ordnung zu schaffen. Jörn betont besonders drei wichtige Aspekte: das Recht auf Zugehörigkeit, die Notwendigkeit von Anerkennung und Wertschätzung sowie das Thema Gerechtigkeit. Diese Prinzipien sind nicht nur im Geschäftsleben, sondern auch im persönlichen Umfeld von großer Bedeutung.
Lasst euch inspirieren von Jörns praxisnahen Beispielen und Erkenntnissen, die euch dabei helfen werden, Teams effektiver zu führen, Projekte erfolgreicher umzusetzen und Veränderungen nachhaltig zu gestalten. Diese Episode bietet wertvolle Einblicke für alle, die ihre Führungs- und Veränderungskompetenzen verbessern und ein nachhaltiges Arbeitsumfeld schaffen möchten. Schaltet ein und entdeckt, wie ihr die Kraft der systemischen Gesetze für die Absicherung von Veränderungsvorhaben nutzen könnt!

Transkript der Episode

​Dierk

Hallo und herzlich willkommen zur 37. Episode dieses Podcasts Business Akupunktur. Sie trägt den Titel „Veränderung absichern mit den systemischen Gesetzen“. Ich freue mich auf dieses Thema und meinen Gast Jörn Ehrlich. Vielleicht kommt den regelmäßigen Hörenden meines Podcasts der Name und dann auch gleich die Stimme von Jörn bekannt vor.

Jörn war bereits zweimal zu Gast und zwar gleich zu Beginn bei den Folgen 2 und 4. Jörn hat mich im Jahre 2018 sehr intensiv bei der Ausbildung zum Business Coach begleitet und auch persönlich sehr stark beeinflusst. Und ich freue mich, dass er jetzt mal wieder Zeit für ein Gespräch gefunden hat.

Das Thema der vergangenen Podcast-Episode aus dem Oktober war „Keep Management – die andere Seite von Change“. Mich hat das in den letzten Wochen sehr bewegt und ich habe kompetente Gesprächspartner gesucht, um das aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Dabei sind mir natürlich auch gleich die systemischen Gesetze eingefallen, die ich damals bei V.I.E.L Coaching in meiner Ausbildung zum Business Coach gelernt habe. Und die haben mich damals schon fasziniert und darüber möchte ich jetzt mit Jörn sprechen.

Jörn Ehrlich blickt auf 30 Jahre Coaching-Erfahrung als Trainer und selbstständiger Coach zurück. Er ist Mitgründer und Mitinhaber von V.I.E.L Coaching und Training in Hamburg. Wunderschöne Location am Elbberg. In seinem LinkedIn-Profil finden wir eine Reihe von namenhaften Referenzkunden. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Kommunikationsexperte, Persönlichkeitsentwicklung und Systemtransformation.

Hallo Jörn. Herzlich willkommen und vielen Dank für deine Zeit. Habe ich bei deiner Vorstellung etwas vergessen?

Jörn

Nein, ich fühle mich komplett und auch sehr wohlwollend dargestellt. Schön, freut mich.

Dierk

Super. Jörn, du kennst das vielleicht noch. Unsere beiden ersten Aufnahmen sind zwar schon ein paar Jährchen her, aber ich stelle meinen Gästen zu Beginn immer die Frage, was hast du gedacht, als du zum ersten Mal den Titel Business Akupunktur dieses Podcast gehört hast?

Jörn

Ja, das ist eine gute Frage. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, was ich damals gesagt habe. Aber Business ist ja klar, da geht es um Geschäft und um Wirtschaftliches. Akupunktur kommt ja eher aus der Gesundheitsszene. Und ich finde diese Idee von Akupunktur interessant, weil wenn man die Nadelstiche gut setzt, dann erzeugen sie eine enorme Wirkung. Das habe ich am eigenen Leib auch schon erfahren. Wenn man sie ungünstig platziert, dann entstehen vielleicht Nebenwirkungen, aber nicht die gewünschten Effekte. Insofern geht es dabei auch um Präzision.

Dierk

Um Präzision und um Professionalität. Sehr schön. Gut, dann lass uns mal starten. Wir haben ja als Titel „Veränderung absichern mit den systemischen Gesetzen“. Wie gesagt, wir werden uns ein bisschen auf das Thema Keep-Management, auf das Thema Bewahren ausrichten. Aber natürlich sollten wir erst mal klären, was sind denn systemische Gesetze? Sind das echte Gesetze? Machen wir jetzt ein Jura-Podcast hier?

Jörn

Ne, also das garantiert nicht. Man könnte sagen, ein anderes Wort für Gesetze sind Wirkdynamiken. Und zwar die soziales Zusammenleben beschreiben. Also sie beruhen vermutlich in erster Linie auf empirischen Erfahrungen, die Menschen mit Gruppen gemacht haben und sind dann später auch wissenschaftlich erforscht worden.

Dierk

Ok. Ok. Also wir reden von Wirkdynamiken, wir reden von Gesetzmäßigkeiten, also Dinge, die wir beobachtet haben, die wir eventuell persönlich beobachtet haben, aber die auch, wie du gerade auch sagtest, schon erforscht sind und damit schon eine gewisse Relevanz haben. Kann man denn gegen diese Gesetze oder Gesetzmäßigkeiten auch Berufung einlegen?

Jörn

Nein, also vielleicht muss man da doch einmal so historisch drauf schauen, weil die Wirkdynamiken sind nicht von jemanden festgelegt worden, also weder ein Moses noch irgendein Sozialforscher, der sich damit beschäftigt hat, sondern das sind Gesetze, die aus dem Zusammenleben entstanden sind und schon lange, lange bestehen. Und sie sind dann erst viel später von Sozialwissenschaftlern, Psychologen, beforscht worden. Und dann hat man gesehen, dass das Zusammenleben von Menschen dann am besten funktioniert, wenn sie sich sagen wir mal nach bestimmten Regeln oder Gesetzmäßigkeiten aufeinander beziehen. Und man kann sich vorstellen, damals, als wir noch Mammuts gejagt haben in den sehr unwirtlichen Zeiten, war es existenziell und notwendig, dass man sich gut aufeinander abgestimmt hat.

Und dass jeder, sagen wir mal so, seinen Platz auch eingenommen hat. Und da gab es eben Regeln, die sich bewährt haben. Und wenn alle in der Gemeinschaft diese Regeln eingehalten haben, dann hat man signifikant die Überlebenswahrscheinlichkeit nicht nur der einzelnen Personen, sondern des gesamten Systems, also sprich der Gruppe, erhöht.

Und diese Gesetzmäßigkeiten, die sind sagen wir mal von Generation zu Generation, sind die weitergereicht worden und wirken bis in unsere Neuzeit jetzt hinein.

Dierk

Ja, deshalb, wenn ich das richtig verstehe, sie wirken bis heute, also man könnte sie ignorieren. Das senkt aber die Überlebenswahrscheinlichkeit des Systems, also meine persönliche, wahrscheinlich nicht in der heutigen Zeit, weil ich keine Mammuts mehr jage, aber die ganze Umgebung, da habe ich negative Auswirkungen, wenn ich diese Gesetze oder Gesetzmäßigkeiten ignoriere.

Jörn

Richtig. Also hier in den europäischen Rahmen haben wir ja nicht so große Überlebensherausforderungen, sondern wenn wir jetzt auf den Business-Kontext schauen, geht es dann um Wirtschaftlichkeit.

Und ein System will, also wenn es als Unternehmen am Markt bestehen möchte, muss es schauen, dass es wirtschaftlich ist. Das ist sozusagen der Hauptanspruch. Und jetzt versucht jedes Unternehmen, also auch über Moral und über Regelwerke, das System so zu organisieren, dass eine möglichst hohe Wirtschaftskraft entsteht, sodass das System davon gut leben kann und damit dann auch viele Familien ernähren kann. Und die systemischen Gesetzmäßigkeiten werden meistens dann erst wahrgenommen, wenn sie nicht mitbeachtet werden.

Und einer meiner Kollegen, der Klaus-Peter Horn, von dem ich auch viel diesbezüglich gelernt habe, hat mal gesagt, wir Menschen werden mit zwei Sprachen groß. Das ist einmal unsere Muttersprache und das ist einmal die Sprache systemisch. Die wirkt sozusagen unbewusst.

Aber sobald ein Verstoß entsteht, merken wir das über Symptome oder über so ein Gefühl, das uns sagt, da ist irgendetwas Ungutes. Das kennen wir beispielsweise, wenn wir beim Bäcker stehen und da ist eine lange Schlange und dann drängelt sich einer vor, dann werden die meisten darauf reagieren, weil der die sozialen Gesetzmäßigkeiten nicht einhält. Der verstößt also.

Dierk

Okay, sehr gut. Jetzt haben wir so ganz theoretisch und historisch darüber gesprochen. Wie viele Systemgesetzmäßigkeiten gibt es denn? Kann man die zählen? Gibt es eine Rangfolge? Wir können mal so ein bisschen einsteigen.

Jörn

Ja, also das ist ein bisschen abhängig davon, wer das beforscht hat. Also es gab in den vergangenen, sage ich mal, 100 Jahren, gab es Grundlagenforschung, also gerade auch System, Theorie, die entstanden ist oder Sozialtheorien. Niklas Luhmann wäre dazu nennen, Humberto Maturana, Francisco Varela, Gregory Bateson. Die haben sozusagen ein Fundament gelegt.

Und dann haben andere Menschen, oft aus dem familientherapeutischen Bereich, diese Grundlagen genommen und sie dann in die Anwendung gebracht haben. Also beispielsweise Virginia Satir, Helm Stierlien, Paul Watzlawick, Gunther Schmidt, Gunther Weber, Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd, waren einige der maßgeblichen, hier auch in Deutschland wirksamen, Personen, die dann diese Gesetzmäßigkeiten in ihrer Arbeit mit einbezogen und berücksichtigt haben. Und, ja, da hat so jeder sein eigenes Erkenntnissystem aufgebaut.

Und ich habe einen Kollegen, das ist der Dr. Dieter Bischop. Das ist ein Kollege, mit dem ich in den 90er Jahren groß geworden bin, was so meine beruflichen Aktivitäten anbelangt. Und der spricht von zehn Gesetzmäßigkeiten. Und ich finde sowohl vom Umfang her, als auch von der Art und Weise, wie er das in Reihenfolge denkt, sehr ansprechend, kann dazu sagen, das passt. Ja.

Dierk

Das ist gut. Da kommt auch ein Link zu dem Hanseatischen Institut. Da kann man das nochmal nachlesen. Das kommt mal in die Show Notes nochmal rein, weil wir werden jetzt nicht alle zehn Gesetzmäßigkeiten durchsprechen. Das heißt, da kann man einfach nochmal ein bisschen was nachlesen. Aber lass uns doch mal gucken. Du hast gesagt, es gibt zehn Stück. Gibt es da eine Reihenfolge oder sind diese zehn alle gleich? Wie kann ich mir das vorstellen?

Jörn

Also wenn du mich persönlich fragst und das tust du ja, dann würde ich sagen ganz eindeutig jein. Weil das ist so ein bisschen wie beim Wein. Das liegt ja ein bisschen auch im Auge des Betrachters oder in dem Fall derjenigen, der das auch empirisch beforscht und auch versucht zu verstehen.

Und von all den Gesetzmäßigkeiten, die mir bekannt sind, würde ich eins nach ganz oben stellen und das ist das Gesetz „anerkennen, was ist“. Weil wenn ich mit diesen Wahrnehmungsfiltern ausgestattet bin, dann verschaffe ich mir einen ganz anderen Wahrnehmungszugang zu dem, was ich da draußen erlebe im Zusammenspiel mit Menschen.

Der Dieter Bischop hat das ein bisschen anders gesehen. Der sagt, okay, das Anerkennen was ist, das ist sozusagen schon ein erster Lösungsschritt und das sehe ich auch. So könnte man sagen, es ist gut, wenn man eine Klammer setzt, ganz oben mit dem Anspruch zu arbeiten mit anderen Menschen, zu gucken und zu verstehen, was da passiert. Und anstatt das, was passiert, gleich besser machen zu wollen oder anders haben zu wollen, erst mal zu akzeptieren, dass es so ist, wie es ist. Das schafft erst mal auch eine ganz andere Kommunikationsgrundlage. Und gleichzeitig kann man sagen, ist es auch am Ende zu sehen, wo es helfen kann, bei all den Konflikten, die man vielleicht ausgetragen hat miteinander, dass man irgendwann an den Punkt kommt und sagt, okay, ich erkenne jetzt an, dass wir an diesem Punkt sind und wir müssen von dort aus jetzt sehen, wie wir weitermachen.

Dierk

Okay, gut. Du hast gesagt schon mal, dass eine dieser Gesetzmäßigkeiten das Anerkennen ist. Also was ist, muss anerkannt werden. Wenn wir heute auch ein bisschen über Organisation sprechen, dann springt mir sofort eine weitere Gesetzmäßigkeit ins Auge, nämlich das Recht auf Zugehörigkeit.

Jörn

Ja, also wenn ich dann mir die Gesetze anschaue, die mir bekannt sind, dann würde ich sagen, gibt es dreierlei, die wir in jedem Fall mit einbeziehen sollten in unserer Arbeit. Egal, ob wir jetzt uns Coach oder Berater oder Führungskraft oder Ehemann oder Ehefrau nennen. Das ist einmal das Recht auf Zugehörigkeit, dann generell Anerkennung, Wertschätzung und Respekt zu leben und das Thema Gerechtigkeit. Wenn wir diese drei Aspekte berücksichtigen, dann haben wir schon mal eine Menge verstanden.

Dierk

Und das macht es ja wahnsinnig schwierig, weil also Anerkennung, das kann ich mir noch vorstellen. Also sozusagen eine verbale Anerkennung zum Beispiel. Aber das Gefühl, das Gerechtigkeitsgefühl, das ist ja wirklich sehr, sehr persönlich geprägt.

Jörn

Das stimmt. Und trotzdem scheinen wir als Gruppe in der Lage zu sein, sowas aufzubauen wie ein gutes Gefühl für Gerechtigkeit. Ich weiß nicht, ob du das kennst, auch in der Schule, wenn Noten verteilt worden sind, dann hat eine Klasse so ein Gefühl dafür entwickelt, fast schon so eine Art Ranking, wer bestimmte Noten verdient hat. Und wenn der Klassenlehrer die entsprechend nicht so verteilt hat, dann hat die Klasse dagegen rebelliert. Also wenn jemand zu gut oder zu schlecht bewertet wird, dann scheinen wir dafür eine Empfindsamkeit zu haben. So eine Art Gruppengewissen, könnte man sagen.

Dierk

Ja, okay. Dann lass uns doch jetzt mal so ein bisschen einsteigen in die Anwendung der systemischen Gesetzmäßigkeiten auf der einen Seite für Unternehmen. Also wir haben ja das Thema, dass wir Veränderung absichern wollen, dass wir Veränderung mit den systemischen Gesetzen absichern wollen.

Was bedeutet das denn, wenn ich in einem Unternehmen bin und eine Veränderung anstrebe? Wir wollen ja nicht Veränderung blockieren, sondern wir wollen Veränderung absichern. Das heißt, es gibt definitiv eine Notwendigkeit Dinge zu verändern. Was sollte ich denn da grundsätzlich tun? Wo helfen mir da die systemischen Gesetzmäßigkeiten?

Jörn

Es sind im Prinzip Wahrnehmungsfilter, die mir helfen, für soziale Ordnung zu sorgen, könnte man sagen. Und wenn ein System gut funktioniert, dann muss ich das auch nicht dahingehend beeinflussen. Interessant ist es, wenn ich ein System aufbaue und ich diese Gesetzmäßigkeiten im Hintergrund habe, dann kann ich bei dem Aufbau beispielsweise eines neuen Teams oder wenn ich ein Projekt auf die Straße bringe, kann ich gucken, ob ich durch den Betrachtungswinkel dieser Gesetzmäßigkeiten, sage ich mal, die Strategie gut abgestimmt habe.

Also beispielsweise, wenn es darum geht, ein Team aufzubauen, habe ich all die Menschen informiert, die informiert werden müssen, dass dieses neue Team besteht. Habe ich die Leute, die jetzt neu in diesem Team sind, habe ich die auf eine Art und Weise zusammengeführt, dass ich deren Herkunft, also wie lange die im Unternehmen sind, wie viele Kompetenzen, die mit reinbringen, die haben ja alle einen unterschiedlichen Wissensstand, habe ich diese ganzen Aspekte mit berücksichtigt in der Art und Weise, wie beispielsweise auch Aufgaben verteilt werden.

Dierk

Jetzt, wo du es ansprichst, zum Beispiel ein neues Team. Und wir haben ja den Punkt des Recht auf Zugehörigkeit. Jetzt kann es ja sein, dass ich aufgrund von irgendwelchen anderen Gründen oder Argumentationen bestimmte Menschen nicht in das neue Team nehme, die aber vorher bewusst, also explizit oder auch implizit in diesem Team waren. Das heißt, da verstoße ich ja im Prinzip, wenn ich es richtig verstehe, gegen das Recht auf Zugehörigkeit.

Jörn

Genau. Und jetzt muss ich schauen, wie ich damit umgehen möchte. Also wenn ich jemanden aus einem Team rausnehme und der will das nicht. Manchmal in Projektteams sind ja die Gruppen auch gewöhnt, dass sie aufgabenbezogen zusammenkommen und dass sie sich, nachdem sie diese Aufgabe vollzogen haben, dass sie sich dann wieder auflösen. Die sind das gewohnt, flexibel zu sein. Aber wenn ich jetzt eine Wirkgemeinschaft habe, die über Jahre zusammengewachsen ist, dann kann ich die nicht einfach so auflösen, ohne dabei, sag ich mal, Befindlichkeiten zu erzeugen.

Da ist es meine Aufgabe als derjenige, der dieses Team verantwortlich leitet oder führt, wie auch immer der Mensch dann heißt, Teamleiter oder Abteilungsleiter, dass ich, bevor ich praktisch diese Operation durchführe, dass ich anfange mit den Menschen, die in diesem Team wirksam sind, Gespräche zu führen, auch mit dem Team gemeinsam Gespräche zu führen und Lösungen zu finden, wie ich diesen Veränderungsprozess bestmöglich initiieren kann.

Dierk

Ja, und wenn ich jetzt wiederum nehme, Anerkennen, was ist, was wir vorhin auch hatten, ist ja mein erster Schritt als Führungskraft anzuerkennen, dass es diese Befindlichkeiten geben wird. Weil ich habe aus guten Gründen entschieden, ihn nicht in mein Team zu nehmen. Das kann ich ja erklären. Das sind ja logische Erklärungen.

Ich kann sie logisch nachvollziehbar rüberbringen, aber derjenige hat eben das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Insofern helfen mir ja die systemischen Gesetzmäßigkeiten, ich sag mal, an möglichst viel zu denken in meinen Erklärungen für meine Entscheidung und auch daran zu denken, was könnte denn passieren.

Denn wenn ich für mich logisch entscheide, naja, der gehört nicht mit dazu, weil er zu alt ist oder zu jung ist, wie auch immer, dann ist es für mich klar. Aber für denjenigen ist es eben nicht klar.

Jörn

Ja, also es geht, so wie du es jetzt konstruierst, wir haben ja jetzt kein konkretes Beispiel genommen, geht es auch um den Aspekt von Würdigung. Also wenn ich über die Jahre in einem Team wirksam gewesen bin, dann habe ich ja, wenn ich entsprechend auch Leistung erbracht habe, dann habe ich ja einen Verdienst gemacht. Ich habe mich verdient gemacht. Und dann besteht auch die Aufgabe für mich als Führungskraft, das, zweite systemische Gesetz, das auch anzuerkennen, dass das gemacht worden ist, das zu wertschätzen und dann einen Weg zu finden, diesen Menschen entsprechend auch anerkennend zu entlassen. Ist ja nicht nur in Teams so, das ist auch so, wenn Menschen beispielsweise jetzt in Rente gehen. In der Art und Weise, wie ich jemanden dann verabschiede, also waren wir jetzt mal kurz beim Beispiel, in die Rente zu gehen, bilde ich damit ja auch ein Beispiel für alle anderen, die bleiben.

Und wir tun gut daran, uns darüber Gedanken zu machen, was das dann bedeutet. Weil das trägt derjenige ja mit dann in seinen nächsten Lebensabschnitt. Der wird darüber auch anderen Menschen berichten, wie er das erlebt hat, diese Verabschiedung. Und wie gesagt, es strahlt auch zurück in das System all derjenigen, die noch bleiben werden.

Dierk

Und wenn ich das jetzt mal weiterdenke, dieses Beispiel, es strahlt zum Beispiel auch auf das Thema der Zugehörigkeit quasi zurück. Wie fühle ich mich zugehörig? Du hast ja vorhin gesagt, wir haben gewisse Regeln, die sich etabliert haben in gewissen Gruppen. Wenn ich jetzt aber merke, diese Regeln zum Beispiel eben mit der Zugehörigkeit, die werden verletzt oder sind jetzt aus meiner Sicht nicht mehr so wichtig oder werden nicht mehr so wichtig wahrgenommen, weil jemand jetzt nur noch einen Blumenstrauß kriegt, eine Elbschifffahrt oder was weiß ich, was es vorher gab. Also da gab es teurere und wertschätzendere Geschenke. Jetzt gibt es noch einen Blumenstrauß und vielleicht gibt es auch nur noch einen feuchten Händedruck. Ich merke also, auf die Zugehörigkeit wird nicht mehr so wertgelegt. Das reflektiert ja auf mich und mein Gefühl der Zugehörigkeit zurück.

Jörn

Ja, also das würde ich jetzt nicht mit dem Begriff Zugehörigkeit beschreiben, sondern hier trifft es dann den nächsten Aspekt der Gerechtigkeit, also dem Ausgleich von geben und nehmen. Also wenn ich beispielsweise über einen langen Zeitraum viel Arbeitskraft in ein System hineingebracht habe und das vielleicht jahrzehntelang und das ist meinen Vorgängern, die vorher entlassen worden sind, ist das auf eine bestimmte Art und Weise vergütet worden, durch Geld oder durch irgendwelche anderen Maßnahmen. Und ich, der das Gefühl hat, dieselbe Leistung erbracht zu haben und wir unterstellen mal auch, dass das so ist, es kann ja auch sein, dass das nicht so ist, aber wir unterstellen mal, dass das so ist, dann ist das ja ein Bruch. Und das wird in jedem Fall von diesem Menschen, dem das nicht zuteilwird, als ungerecht erlebt und auch von all denjenigen, die das beobachten werden, ähnlich wie mit den Schulnoten, die ungerecht verteilt werden.

Dierk

Jetzt hatten wir eben ein konstruiertes Beispiel. Hast du denn aus deiner Praxis Beispiele, wo systemische Gesetze verletzt wurden, respektive, wo du vielleicht auch durch deine Unterstützung auf diese systemischen Gesetzmäßigkeiten hinweisen konntest und man dadurch gewisse Dinge eben erfolgreicher gestaltet hat, um es mal so auszudrücken?

Jörn

Ja, also es geht beispielsweise oft auch um das Thema Verantwortung. Und Menschen, die mehr Verantwortung tragen, stehen sozusagen aus dieser Logik dieser Gesetzmäßigkeiten vor denen, die weniger Verantwortung übernehmen.

Wenn ich jetzt also als geschäftsführende Gesellschafterin ein Unternehmen leite und mir fortlaufend Vorwürfe gemacht werden, warum ich bestimmte Dinge nicht tue und diese Menschen praktisch nur kritisch auf mich schauen und nur meine Fehlbarkeiten anschaue, dann wird diese Person aus einem sehr eingeschränkten Blickwinkel wahrgenommen. Und das ist auf Dauer weder für die, die das kritisieren, noch für diejenigen, die diese Kritik üben, günstig. Auch wenn diese Kritik berechtigt ist. Und wenn ich mit, und das habe ich getan jetzt mit diesem Team, zusammenarbeite, dann müssten zwei Sachen geschehen. Und das müsste tatsächlich einmal auch ausgesprochen werden. Und zwar müssten diejenigen, die zu Recht Kritik haben, weil bestimmte Sachen nicht so laufen und weil man das vielleicht auch verändern wollen möchte, erstmal der Chefin sagen, aber du bist diejenige, die hier die Verantwortung trägt. Und das erkennen wir wirklich an. Weil ich persönlich wäre nicht bereit, diese Verantwortung zu übernehmen. Und interessanterweise, wenn Menschen Verantwortung anerkennen, dann entsteht so eine Art Umkehrung auch im Denken auf der anderen Seite. Die wird auch weicher und auch offener für die Kritik, die dann gestellt wird.

Und der Satz dann zurück wäre an diejenigen, die Verbesserungsvorschläge haben. Okay, ich kann sehen, dass es hier Dinge gibt, die wir verändern müssen. Und jetzt müssen wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir da eine gute und auch eine wirtschaftliche Lösung für hinkriegen.

Dierk

Jetzt hast du ein Beispiel aus der Organisation gebracht, du bist ja aber auch in anderen Bereichen tätig, und wir reden ja über Systeme, wir reden ja nicht über Unternehmen oder allein über Unternehmen, gibt es auch, sag mal, so Themen, dass man es in einer Familie anwendet oder im Verein, also dass man diese systemischen Gesetzmäßigkeiten überträgt auf andere Organisationen, in Anführungsstrichen,

Jörn

Ja, also nehmen wir mal einen Verein, also nehmen wir mal einen Spatenleiter, der vielleicht seit 30 Jahren im Verein tätig ist. Und Spatenleiter, in Klammern könnten wir dann auch Führungskraft setzen. Das ist jetzt ein Beispiel aus einem anderen Bereich, ein Spatenleiter, der seit 30 Jahren tätig ist. Und der möchte jetzt einen Nachfolger auswählen. Und der findet auch einen, einen Jüngeren. Und dann schafft er es aber nicht, den Jüngeren ins Amt zu heben. Das heißt, der Jüngere versucht jetzt die ganze Zeit, also seine Rolle einzunehmen, seine Stelle einzunehmen. Und während er das tut, regiert der Ältere immer wieder rein.

Und da kannst du die Uhr nachstellen, über kurz oder lang wird es dann Konflikt geben, weil der Jüngere nicht vollständig in seine Kraft kommt, weil der Ältere das ja verhindert. Was jetzt also passieren müsste, ist, dass der Ältere tatsächlich dem Jüngeren ins Amt hebt und ihn dann auch wirklich seine Tätigkeiten machen lässt. Das wäre dann eine gute Übernahme oder Übergabe. Und das muss auch von dem Älteren kommen. Wenn der Jüngere ständig daran nörgelt, dass der Ältere ihn nicht das machen lässt, was er eigentlich gerne machen würde und auch per Amt machen sollte, dann wird es weiterhin diesen Konflikt geben. Also wir können als die Jüngeren nicht die Dinge einfordern, die eigentlich die Älteren machen müssten. Beispielsweise auch bei Firmenübergabe der Fall. Also wenn Menschen eine Firma an die nächste Generation übertragen wollen, dann ist das häufig eins der Hauptthemen.

Also die Jüngeren würden gerne mehr Raum einnehmen, kommen mit vielen tollen Ideen. Die haben die Aufgabe, erstmal das Lebenswerk der Älteren, oft ja auch der Eltern, zu würdigen. Aber die Älteren müssen einmal und auch offiziell bekannt geben, wir übertragen das jetzt an euch. Das kann man beispielsweise auch im Rahmen einer Betriebsversammlung machen, wo das alle dann auch sehen können.

Weil wenn sie es nicht tun, dann kann das gut sein, dass gerade auch die älteren Mitarbeiter an den jüngeren vorbei dann doch zu den älteren gehen, zu den ehemaligen Inhabern und sich da dann noch ein Okay abholen. Und wenn sowas erst mal installiert ist, dann hat man da eine sehr vergiftete Grundsituation.

Dierk

Ja. Und dann kommen wir wieder zu dem Thema dieser Episode Veränderung absichern mit den systemischen Gesetzen, weil das ist ja eine Veränderung, die kann man gar nicht verhindern. Also eine Veränderung, dass die älteren Menschen ausscheiden. Das lässt sich nicht verhindern.

Man kann über manche andere Veränderung streiten, ob sie sinnvoll ist oder nicht, aber diese hier können wir nicht verhindern. Und insofern ist es hier ein wichtiger Punkt. Absichern durch die systemischen Gesetze, durch die Beachtung, dass die Älteren eben den Vorrang haben, aber das dann auch übergeben, diese Verantwortung und diesen Vorrang.

Jörn

Richtig, genau. Oder vielleicht noch ein Beispiel aus der Familie. Also wenn du zwei Kinder hast, und dann ist ja immer, außer es sind eineinige Zwillinge, aber selbst da, ist immer einer der Ältere, wenn auch nur für Sekunden. Aber im Regelfall hat man ja zwei, drei, vier, fünf Jahre dazwischen. Und wenn in dieser Familie immer das jüngere Kind mehr Vorteile hat als das andere Kind, dann wird es über kurz oder lang, wird es dann Symptome geben.

Dierk

Und wie sehen die aus?

Jörn

Also da greift wieder das zweite Gesetz Anerkennung und Wertschätzung und Respekt und auch das dritte Gesetz, also das Gleichgewicht von Geben und Nehmen.

Und auch die Zugehörigkeit, also wenn sozusagen in dem Lob oder in der Wahrnehmung ausschließlich immer nur eine Person ins Blickfeld gerät und der andere keinen Raum kriegt, dann fühlt er sich nicht zugehörig, er kriegt keine Anerkennung und daraus entsteht dann so ein Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen. Und dann fangen die Leute an, darum zu kämpfen. Die werden dann besonders laut, die werden vielleicht besonders hibbelig, dann wird ADHS diagnostiziert oder sie werden irgendwie krank. Also das Unbewusste sucht dann nach Wegen, diesen Mangel oder diese Missachtung von den systemischen Gesetzmäßigkeiten wieder ins Blickfeld zu holen. Und so könnte man sagen, dass die meisten Symptome, die wir haben, sowohl in Familien als auch in Unternehmen und das müssen nicht nur körperliche Symptome sein, das können auch wirtschaftliche Symptome sein, also erhöhte Krankheitsrate oder dass Menschen Fehlzeiten produzieren oder dass man zu spät kommt zur Arbeit oder dass Sachen entwendet werden. Ein Hinweis sind auf die Missachtung des ein oder anderen systemischen Gesetzes.

Dierk

Jawoll. Und das, was du eben angeführt hast, sind ja alles Punkte gewesen, die vielleicht gar nicht so auf der Hand liegen. Also das ist eine, ich sag mal, ein unbewusster oder unkonstruktiver Umgang damit. Denn das, was du vorhin als Beispiel angeführt hast, wenn man das Ganze konstruktiv angeht, wenn man in einem Workshop Dinge bearbeitet mit den systemischen Gesetzen, dann kommt man auch vielleicht zum Beispiel einer erhöhten Krankheitsrate, weil wir mit dem Krankenstand auf die Stiche sozusagen, wenn man dann merkt, hey, Krankenstand steigt, irgendwas läuft hier nicht, wir müssen mal schauen, woran das liegen könnte, dass man dann eben in entsprechende konstruktive Workshops geht.

Jörn

Ja, exakt. Also vielleicht nochmal so ein Beispiel aus der Praxis. Also wenn beispielsweise Qualitätsbeauftragte die ganze Zeit rufen, hier wird die Qualität entsprechend nicht gut abgesichert, wir müssen hier mehr tun und der Hauptverantwortliche, also vielleicht der Besitzer des Unternehmens, anfängt gegen die zu reden, weil er merkt, wirtschaftlich ist das für uns schwer zu stemmen. Wir müssen also eine Lösung finden, die vielleicht dazwischen liegt. Aber wir können nicht alle diese Ansprüche, die ihr habt, jetzt auch realisieren. Und anstatt den zu sagen, guck mal, die Situation ist jetzt folgendermaßen, ich habe hier die Hauptverantwortung für dieses Unternehmen und in erster Linie geht es darum, dass ich sicherstellen muss, dass ich hier für ein paar hundert Leute am Ende des Monats genügend Umsatz generiere oder wir zusammen als System. Und das geht eben zu Lasten von vielen Dingen, die man prinzipiell, wenn man nur auf eine Sache fokussiert, besser machen kann. Das ist die Qualität. Das ist vielleicht auch die Geschwindigkeit, wie Produkte hergestellt werden. Das ist vielleicht auch die Art und Weise, wie wir uns per Marketing im Außen darstellen, am Markt. Kann ich alles gut verstehen. Was die meisten Leute aber machen, ist nicht so ein Gespräch zu führen, sondern sie versuchen dann mit Gleichem zu gelten. Also sie entwerten die Argumente derjenigen, die sagen, aber hier müsste man noch was verändern. Also wir brauchen hier mehr Qualität vor Ort. Und dann rasten sie irgendwann aus und werden wütend und kommen praktisch mit der hierarchischen Keule und versuchen auf diese Art und Weise für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Und die Reaktion wird ja nicht sein, dass die Leute dann aufhören, ihre Position zu vertreten, ihre Sachposition, sondern sie werden dann ihre Frustration verlagern. Also sie werden, weil sie gegen die Mächtigen nicht ankommen können, werden sie dann in der Kantine sich Koalition bilden von Leuten, die das genauso sehen wie die, dann wird man, wenn der Chef reinkommt, gute Miene zum bösen Spiel machen und so weiter und so fort. Das kennen wir allerorts in Unternehmen. Was jetzt eigentlich passieren müsste, wie auch in einem Beispiel, das ich vorhin schon brachte, ist es, dass die, die nach qualitativer Verbesserung rufen, dass die erstmal die Verantwortung des Chefs anerkennen, dass der Chef die Möglichkeit hat, auch in seiner Verantwortung gesehen zu werden, weil das ist ja auch eine respektable Leistung, das über Jahre so zu machen.

Und der Chef müsste dann in dem nächsten Schritt auch auf die schauen und anerkennen, dass die hier einen hohen Einsatz reinbringen und auch über Wissen und über Kompetenzen verfügen, das verbessern zu können.

Und auf der Grundlage der gegenseitigen Würdigung, also dem Anerkennen, was ist dahinter, nicht auf der faktischen Ebene, sondern an die Bedürfnisse, die beide haben, kann man dann ein neues, konstruktives Gespräch anregen.

Dierk

Das finde ich auch das Schöne an diesen systemischen Gesetzmäßigkeiten, dass sie, wie ich finde, wirklich sehr umfassend sind und dass auch Punkte drin sind, wie du gerade gesagt hast, Wertschätzung, Vorrang der höheren Verantwortung, Vorrang der höheren Leistung, also Punkte, die ja auch für Führungskräfte oder für Inhaber sprechen. Also es geht nicht darum, wenn man es mal ganz platt und einfach formuliert, dass wir uns alle an den Händen fassen und das alles ganz wunderschön finden und mit Wattebäuschen werfen, sondern es geht um klare Regeln, die wir über die Jahrhunderte, Jahrtausende entwickelt haben, die man nicht einfach über Bord schmeißen kann und die wirklich für einen vernünftigen Ausgleich sorgen, für verschiedene Perspektiven auf die gleiche Situation und sie fördern eigentlich eine sachliche Diskussion.

Jörn

Ja, also ich stimme dir in vielen Punkten zu, aber der Fokus ist nicht, dass wir am Ende eine sachliche Diskussion führen können. Darum geht es nicht in meiner Welt, sondern dass es darum geht, tief liegende Wahrheiten anzuerkennen und auch die Emotionen, die da dran geknüpft sind.

Also man weiß, dass Menschen vielleicht über Jahre auch nicht gesehen worden sind in ihrer Leistung und dass deswegen Frustration entstanden ist. Und es geht dann nicht darum, das einmal so aufzudecken und dann kurz anzuerkennen und dann geht man wieder über zur sachlichen Kommunikation, sondern es geht darum, das Zusammenleben als ein sehr komplexes Geschehen zu verstehen, wo eben ganz menschliche Bedürfnisse vorhanden sind. Wir haben die Bedürfnisse ja nicht nur in unseren Beziehungen oder in den Familienleben, sondern wir tragen diese Bedürfnisse, ja auch mit ins Berufsleben. Wir wollen dazugehören. Wir brauchen Anerkennung. Uns tut Wertschätzung gut. Wir wollen, dass es gerecht zugeht. Und wenn diese Bedürfnisse zu wenig Raum bekommen, dann entstehen irgendwann die Symptome.

Und was viele Unternehmen noch lernen dürfen, ist, dass sie neben den sachlichen, kognitiven, funktionalen, leistungsorientierten Kompetenzen, dass sie die eher darunter liegenden Aspekte mit in ihr Denken und Handeln einbeziehen.

Dierk

Interessant, du hast gerade davon gesprochen, darunter liegend. Ich hätte gesagt daneben liegend. Ist das jetzt Wortklauberei oder siehst du da Unterschiede bei der Sprachwahl? Okay, der berühmte Eisberg unter anderem.

Jörn

Ja, also für mich ist es tatsächlich darunterliegend, weil es meistens im Schatten der Wahrnehmung liegt von den allermeisten Menschen.

Ja genau, und weil das auch sagen wir mal das Fundament ist menschlichen Zusammenseins. Also wir können, wenn wir unsere Bedürfnisse gegenseitig wahrnehmen und auch in unserem Denken und Handeln mitberücksichtigen, beispielsweise mit einer Haltung von freundlicher Stärke, wo ich nicht nur mich zum Gewinner machen möchte, sondern auch mein Gegenüber, meinen Kommunikationspartner, legen wir sozusagen ein Fundament, dass mir hilft, auf diesem Fundament dann sachlich Informationen auszutauschen, weil ich fühle mich dann sicher. Und Menschen, die sich nicht sicher fühlen, das ist sozusagen Sicherheit ist noch ein Layer unterhalb der Zugehörigkeit in meiner Welt. Also, damit ich überhaupt Leistung zeigen kann, dass ich kreativ sein kann und dass ich auch mutig bin, vielleicht Dinge anzusprechen oder auf Veränderungen zuzugehen, muss ich mich als Mensch insgesamt sicher fühlen. Und das Gefühl dazu gehören zu dürfen, zu dem Unternehmen, zu dem Team, zu der Abteilung und dass ich hier auch gesehen werde, und das geht über Anerkennung, Wertschätzung und Respekt und dass es hier gerecht zugeht, das ist das Fundament dafür, dass ich überhaupt sachlich tätig werden kann in meiner Welt.

Dierk

Ich freue mich über deine Welt, über die Einblicke in deine Welt. Der Titel dieser Episode heißt ja Veränderung absichern. Das hört sich für uns beide alles sehr nachvollziehbar und sehr plausibel an. Wie gehst du denn mit Widerständen oder Missverständnissen um, wenn Klienten, wenn Auftraggeber diese Konzepte, dieses Verständnis der systemischen Gesetzesmöglichkeiten nicht sofort verstehen oder nicht sofort akzeptieren oder vielleicht noch weitergehend ablehnen?

Jörn

Erstmal muss ich anerkennen, was ist.

Das ist meine Hauptaufgabe. Und dann hat jedes System so seine eigene Dynamik. Das sagt man oft ja auch, wenn man irgendwo in irgendein Unternehmen reinkommt, dann spricht man von dem sogenannten Stallgeruch. Also man spürt schon, wie die Leute sich da so aufeinander beziehen. Und in einem Start-up Unternehmen hast du im Regelfall ein ganz anderes Flair, einen ganz anderen Stallgeruch und eine ganz andere Kultur, als wenn du beispielsweise jetzt in ein Traditionsunternehmen gehst oder in eine Versicherung oder so.

Und das bedeutet, dass das System bestimmte Vereinbarungen irgendwann mal getroffen hat, was hier erlaubt ist und was hier nicht erlaubt ist, was gesehen werden darf und was nicht gesehen werden darf.

Und so entstehen eben Stärken, aber es entstehen eben auch blinde Flecken und Schatten. Es gibt Tabus, es gibt Geheimnisse. Das gibt es überall. Das gibt es in jedem Unternehmen und das gibt es auch in jeder Familie. Es gibt kein erleuchtetes System, wo alles klar ist.

Meine Aufgabe besteht jetzt erstmal darin, das System zu verstehen und dann es wertschätzend zu konfrontieren. Und ich finde diese beiden Worte auch wichtig. Wertschätzend dahingehend, dass ich mich immer daran erinnern muss, dass ich ja hier zu Gast bin. Und gerade wenn ich in einem Unternehmen bin, das schon viele Jahre oder Jahrzehnte besteht, dann hat es, egal wie schief es ist, ja eine Menge Familien bis dato ernährt. Und das gilt es anzuerkennen. Und gleichzeitig konfrontiere ich das System mit bestimmten Verhaltensweisen und zeige auf, welche Auswirkungen das hat. Und dann dürfen die Betroffenen, die damit konfrontiert werden, selbst entscheiden, wie sie damit umgehen werden. Und aus deren Reaktionen erfahre ich auch, was möglich ist und was nicht möglich ist.

Dierk

Was mir die ganze Zeit noch so durch den Kopf geht, ist immer die Frage nach Emotionen, nach Gefühlen, weil das, worüber wir reden, ist ja eine wichtige Basis. Wir reden über Wirtschaftsunternehmen, also primär über wirtschaftliche Unternehmen oder wirtschaftlich Handelnde.

Und man kann Emotionen nicht messen. Man kann auch irgendwelche unbewussten Muster in der Arbeit, Verhaltensweisen, Glaubenssätze, die kannst du ja alle nicht messen. Welche Rolle spielt denn dieses ganze Thema Emotionen und unbewusste Muster, wenn wir eben über Wirtschaftsunternehmen sprechen und wenn wir über diese systemischen Gesetzmäßigkeiten sprechen?

Jörn

Eine riesige Rolle. Also nur weil wir darüber nicht sprechen und uns das nicht in den, also das nicht in den Wahrnehmungsfokus heben, heißt es ja noch lange nicht, dass es da ist. Es gibt so ein schönes Beispiel, das ich mal geschenkt bekommen habe. Wenn du eine Plastikflasche hast und du liebst Ordnung und du nimmst diese Plastikflasche, du sitzt im Auto und machst das Fenster auf und schmeißt die Flasche einfach weg, dann hat die sicher nicht aufgelöst, sondern die ist nur woanders. Und dieses woanders ist im psychologischen Sinne unser Unbewusstes. Also der Ort, wo unsere Emotionen und unsere unbewussten Muster und Glaubenssätze zu Hause sind.

Und nur weil ich da kein Licht drauf werfe, heißt es ja noch lange nicht, dass sie nicht wirksam sind. Ganz im Gegenteil, die können höchst wirksam sein. Und das ist auch ein Teil meiner Aufgabe, Menschen zu helfen, also ihre unbewussten Muster anzuschauen und den Mut zu haben, sich auch ihren Emotionen zuzuwenden. Weil wenn man das Wort Emotion nimmt, dann heißt das ja E-Motion.

In meiner Welt Energie, die in Bewegung ist. E-Motion. Und Gefühle sind deswegen in Bewegung, weil sie jetzt in diesem Modell, es gibt auch andere Modelle, Gefühle haben viele Funktionen, aber in diesem Modell weisen die Gefühle auf etwas darunter Liegendes hin, nämlich auf die Bedürfnisse oder auf verletzte Werthaltung. Und das heißt, das ist ein ganz zentraler Zugangsweg, um auch aufzudecken, was der Einzelne vielleicht braucht. Und dann sind wir sehr schnell wieder bei den systemischen Gesetzmäßigkeiten, weil wenn ich das hinterfrage, dann kommen sehr oft diese ersten drei Gesetzmäßigkeiten zum Tragen. Ich bin wütend, weil ich nicht dazugehöre, weil ich hier zu wenig Anerkennung kriege, weil ich keine Wertschätzung erfahre, weil hier nicht respektvoll mit mir umgegangen wird, weil das ungerecht ist, was hier entschieden worden ist und so weiter. Und deswegen braucht es diese Zuwendung auch in diese Region des menschlichen Seins, sage ich mal.

Dierk

Ja, und es braucht es, um Veränderungen abzusichern. Weil Veränderungen ja quasi jetzt Energie in das System reinbringen, wenn ich das jetzt noch mal wieder auf den Titel übertrage. Wenn ein System keine Veränderung hat oder gerade nicht braucht, dann gibt es eine kleine Veränderung, sozusagen in kleinen Schritten. Aber das System, das hat sich so irgendwie stabilisiert. Aber bei Veränderungen, und das ist ja gerade in der heutigen Zeit der Punkt, das war ja auch ein ganz wichtiger Punkt, der mich aus dem Gespräch mit dem Horst Lempert im letzten Podcast bewegt hat. Diese Veränderungsmüdigkeit, die Veränderungsablehnung eigentlich aus verschiedensten Gründen. Und insofern sind die systemischen Gesetzmäßigkeiten sicherlich auch eine mögliche Erklärung, warum das so ist und wie sich das entsprechend gestaltet.

Jörn

Ja, also die praktisch in seinem Wahrnehmungsportfolio zu haben, ist auf jeden Fall sehr, sehr hilfreich, weil sie helfen, den Fokus auf das Wesentliche zu legen.

Dierk

Wir hatten ja vorhin das Beispiel, oder ich hatte mal versucht, auch weg von Wirtschaftsunternehmen zu gehen. Was ist denn, wenn wir traumatische Ereignisse haben? Zum Beispiel in einer Familienstruktur.

Da gibt es ja auch entsprechende, ich sag mal, da wirken ja auch diese Gesetzmäßigkeiten. Also ich stelle diese Frage, um von da aus vielleicht nochmal auf Unternehmen zu übertragen. Also wie kann man das über traumatische Ereignisse quasi anwenden?

Jörn

Also Trauma ist ja im Moment so ein Modebegriff und da müssen wir erstmal unterscheiden zwischen, also wir müssen erstmal uns fragen, um welches Trauma handelt es sich jetzt. Und bei Schocktraumata ist das ja relativ einfach zu diagnostizieren. Ich hatte einen Unfall, das hat mich tierisch gestresst und da bleibt sozusagen psychisch ein Imprint, der mich immer wieder in bestimmte Erlebnisstrukturen zurückzwängt, könnte man sagen. Aber es gibt eben auch Traumata, die über soziales Verhalten entstehen, und zwar nicht innerhalb von einem Impact wie beim Autounfall, sondern durch kontinuierliches Verhalten. Und das kann auch übertragen werden. Also beispielsweise, wenn der Vater vom Großvater gelernt hat, nur seine harte Seite zu zeigen. Weil meinetwegen der Großvater hat im Krieg gedient, und um jetzt seine Kameraden nicht unnötig zu gefährden, hat der keine Panikausbrüche gekriegt und hat sich immer zusammengerissen und hat Härte gezeigt, weil damit sind die durchgekommen.

Und auf diese Art und Weise hat jetzt der Großvater den Vater erzogen. Das heißt, alle weichen Seiten, alle zarten Seiten, alle verständigen Seiten, alle empathischen Seiten auch sich selbst gegenüber haben da wenig Raum gehabt. Die sind vielleicht in der Veranlagung noch da, aber sie sind nicht genährt worden.

Dieses Verhalten wird jetzt an das Kind weitergetragen. Der wird irgendwann Führungskraft. Jetzt können wir uns ja vorstellen, was der für einen Führungsstil entwickeln wird, wenn das nicht irgendwann in die Reflektion geht. Und so wirken die Traumata aus der Familienlinie hinein ins Familienleben des Kindes und von dort mit der Zeit hinein in das Berufsleben, nämlich spätestens dann, wenn der anfängt, eine Tätigkeit in einem Unternehmen aufzunehmen und dann irgendwann auch Führungskraft wird.

Dierk

Okay, das heißt auch in dem Sinne, also persönliche Entwicklung sowieso, aber auch Führungskräfteentwicklung. Menschen, die Verantwortung übernehmen, dürften sich damit den systemischen Gesetzmäßigkeiten auseinandersetzen und dürften verstehen, müssten verstehen, was das bedeutet und wo sie sich selber wiederfinden.

Jörn

Ja, also das geht über die systemischen Gesetzmäßigkeiten auch schon heraus. Jetzt fällt mir auch das Wort ein, ich habe die ganze Zeit gesucht nach dem Bindungs- und Entwicklungstrauma. Und das ist das Wort gewesen, das ich unbewusst gesucht hatte. Und wenn ich ungünstige Bindungserfahrungen gemacht habe, dann werde ich diese weiterreichen, denn ich kann ja immer nur das weiterreichen, was ich kann, aber ich werde auch unbewusst alle meine Nöte weiterreichen, also meine Unfertigkeiten. Das reiche ich weiter sowohl an meine Kinder als dann auch an meine Mitarbeiter.

Dierk

Ja, so das waren jetzt knapp 60 Minuten das ist ja für mich immer so eine gefühlte Grenze so, wahrscheinlich könnte ich mit vielen Menschen, wie mit dir, auch noch stundenlang plaudern oder auch tiefgehende Gespräche führen. Gibt es noch irgendetwas, was du so im Rückblick auf die letzten 60 Minuten ergänzen wollen würdest. Eine Art Schlusssatz, eine Zusammenfassung oder Punkte, die noch gar nicht erwähnt wurden, die dir aber jetzt noch auf der Zunge liegen oder durch den Kopf geistern.

Jörn

Da gäbe es noch vieles zu sagen. Aber wenn ich das jetzt zu einem Schluss bringe, dann würde ich sagen, es lohnt sich wirklich, sich zu öffnen für die persönliche Selbstreflektion. Also gute, exzellente Kommunikation ist eine Kunstfertigkeit. Und nur weil wir alle reden können, heißt das noch lange nicht, dass wir gute Kommunikatoren sind. Und ich wünsche uns als Gesellschaft in all den Systemen, in denen Menschen unterwegs sind, sowohl im beruflichen als auch im privaten Sinne, dass wir da unsere Kompetenzen kontinuierlich weiter ausbauen, weil für den Shift, wir haben keinen Change mehr. Das wird nicht mehr reichen. Für den Shift, der jetzt bevorsteht, für diese große Veränderung, die an allen Ecken und Enden anklopft, brauchen wir erwachsene und kommunikationsgeschickte Menschen. Und das wünsche ich uns als Gesellschaft.

Dierk

Okay. Vielen Dank, Jörn, für diese Stunde, für dieses Gespräch, für diese tiefgreifenden Gedanken und ja vielleicht bis irgendwann mal wieder am Elbberg ich bin da aktuell nicht so häufig in Hamburg, sonst würde ich ja auch mal vorbeischauen aber egal also vielen Dank Jörn, Danke, Tschüss

Jörn

Sehr gerne und alles Gute, mein Lieber!

Dierk

So, das war jetzt die 37. Episode. Ich freue mich auf deine Fragen und dein Feedback. Du kannst mir Kommentare unter die Episode schreiben. Den Link auf dem Blog mit den Podcast-Episoden findest du in den Show Notes. Vergisst du auch Fragen, die ich klären kann, neue Themen, die du gerne in meinem Podcast einmal hören würdest. Ganz wie der Untertitel verspricht, kleine Nadelstiche für ein lebendiges und erfolgreiches Business.

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